In der Aula der wässrigen Augen

PRÜM. Was er lebt, das lieben andere. Daniel Küblböck hat am Freitagabend in Prüm am Rande des Eifel Literatur Festivals aus seinem Buch "Ich lebe meine Töne" gelesen. Viele Fans waren da, darunter nicht nur junge Mädchen.

Daniel Küblböck stürzt ab. Eine junge Frau hebt ihn auf und klebt ihn wieder an die Wand. So, jetzt hält das Poster wieder. Es zeigt den Sänger in schwarzer Lederkleidung während seines Auftritts bei "Deutschland sucht den Superstar", als er "Born to be wild" gesungen hatte. Um ihn herum T-Shirts, in allen Farben, auf denen er als Cartoon, als Sänger und zusammen mit einer Kakerlake abgebildet ist. Über Daniel hängen in einer Reihe acht Porträts, akkurat platziert und eingerahmt. Es sind die acht Bundespräsidenten, von Theodor Heuss bis Johannes Rau. Aus drei Metern Höhe blicken sie über den gesamten Raum. Das Zimmer, das sie überwachen, ist die Aula der Wandalbert-Hauptschule in Prüm.Aufgeregt verschwinden, sprachlos zurückkommen

Es ist später Freitagnachmittag. Viele Menschen sind dort und warten gespannt auf das, was sich in wenigen Stunden auf der den Bundespräsidenten gegenüber liegenden Seite abspielen wird. Sie warten auf Daniel Küblböck, den Sänger, den Literaten, den Superstar. Unten, vor der Treppe der Aula, kontrolliert Sicherheitspersonal jeden, der zur Veranstaltung will. Wer eine Karte hat, bekommt einen roten Punkt auf die Hand und darf rein. Schirme, Getränke und Deosprays müssen draußen bleiben. Ausgerechnet das Deo. Wo doch heute Daniel nach Prüm kommt, um dort aus seinem Buch "Ich lebe meine Töne" zu lesen. Ausgerechnet heute kein Deo. Was ist, wenn er mich sieht, mir die Hand gibt, oder ein Autogramm, mich umarmt, mich mit fort nimmt? Ja, einfach nur fort. Weg von den Eltern, die einen sowieso nicht verstehen. Oder doch? Zumindest sind einige da: rauchende Väter im oberen Treppenhaus und drinnen Mütter, die ihre Töchter begleiten oder gar nicht erst mitgenommen haben. Noch eine Stunde. Rechts an der Wand ein Bücherstand: Daniels Meisterwerk für schlappe 4,95 Euro. Wahnsinn. Ein Mädchen mit langen, braunen Haaren sitzt aufgeregt auf einem Stuhl und wartet. Im Mund eine Zahnspange, in den Ohren Musik von Britney Spears und in der Hand zwei Rosen. Die sind für Daniel. Sie wird ihn an diesem Abend sehen, hören und verehren, sich zum wiederholten Mal in ihn verlieben, doch mehr auch nicht. Die Rosen wird sie wieder mit nach Hause nehmen. Und die Erinnerung an diesen Tag. Doch noch ist nichts passiert. Noch warten rund 800 Menschen auf Daniel. Der kommt noch nicht, dafür aber Veranstalter Josef Zierden. Er begrüßt nochmal alle, und liest Zahlenkombinationen vor. Wessen Nummer vorgelesen wird, der darf zu Daniel hinter die Bühne: Zu Daniel hinter die Bühne! Zierden nennt Ziffern und vorne links stellen sich glückliche Gewinner hintereinander auf. In kleinen Gruppen geht es dann zum Superstar. Aufgeregt verschwinden sie, sprachlos kommen sie zurück, werden fotografiert, gefilmt und befragt. Ein sexuell sichtlich unentschlossener Jugendlicher fächert mit seinen Händen nach Luft. "Ich denk an dich, was immer ich auch tu, mein Schaa--aa-aatz", dröhnt es aus den Lautsprechern, drei Frauen in der zweiten Reihe singen mit: "...mein Schaa--aa-aatz". Die nächsten Fans gehen hinter die Bühne. Ein verärgerter Vater schimpft, weil seine Tochter nicht hinter die Bühne darf. Dafür aber eine andere, obwohl sie doch gar nicht ausgelost worden sei. Zierden vermittelt, ein Mädchen weint, ein Junge läuft vorbei. "Das ist der Sohn von der Leiterin vom offiziellen Fan-Club", sagt eine der singenden Frauen aus Reihe zwei. Die letzten Auserwählten gehen hinter die Bühne und tauchen wenig später wieder auf. Und dann? Dann endlich kommt Daniel, erst eines seiner Lieder, dann Zierden und schließlich er selbst. Küblböck wird bejubelt, angekreischt, geblitzt und angehimmelt. 1600 Augen leuchten auf, werden wässrig oder laufen über - von der ersten bis zu den hintersten Reihen, dort, wo die Bundespräsidenten hängen. Der zweite von rechts ist Roman Herzog, der Vorgänger von Rau. Von einem "Ruck", der durch Deutschland gehen müsse, sprach er in seiner berühmten Rede von 1997. Alle in der Aula applaudieren, Herzog bleibt regungslos. Seinen "Ruck durch Deutschland" hatte er sich sicherlich anders vorgestellt. Weiterer Bericht: WELT , Seite 28, Bilder: CLICK-ME , Seite 14. Noch mehr Bilder: www.intrinet.de/aktuell

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