"Ist das nicht romantisch?"
BITBURG. Nach der erfolgreichen Serie, in der Zeitzeugen aus der Region Trier von den letzten Kriegsmonaten berichteten, hat der Trierische Volksreund eine Neuauflage gestartet. Im Mittelpunkt stehen die Wirtschaftswunder-Jahre. Heute ein Bericht von Hedi Weber.
Nach den Kriegswirren und Hungerjahren kam unser Vater am 15. November 1945 aus der Kriegsgefangenschaft, das heißt, Mutter hat ihn dort herausgeholt. Sie fuhr nach Ostpreußen und hat mit ihrem Schmuck einen Wachposten bestochen, der ihr half, unseren Vater auf einem LKW unter Säcken mit Kohlen und Holz aus dem Lager herauszuschmuggeln. Nun ging es uns etwas besser, denn Vater hat das Land rund um unser Haus gepachtet und Kartoffeln, Rüben und allerhand Gemüsesorten angepflanzt. Die Garage wurde umfunktioniert. Dort standen eine Ziege, ein Schaf, Kaninchen und Hühner. Das Heu haben wir in Bettlaken eingebunden, mit einer Seilwinde durch das obere Fenster auf den Speicher gezogen und dort gelagert. Natürlich musste Mutter das Melken lernen, und wir Kinder haben ohne zu murren den Stall ausgemistet. Sonntags ging unsere Ziege mit uns spazieren. Sie lief wie ein Hund am Waldrand entlang und suchte sich die saftigsten Gräser und Blätter. Wenn sie mal außer Sichtweite war, riefen wir "Butschel" und dann kam sie mit einem "Mäh, mäh" angelaufen. Die Zeit verging, der Schulalltag hat uns stark gefordert, denn wir hatten durch den Krieg oft sehr lange Schulausfall. Mein Vater musste die Entnazifizierung mitmachen, das heißt laut Duden: sich nationalistischen Einflüssen entziehen. Er konnte also nicht mehr Schulleiter im Kreis Daun bleiben, weil er in der Partei war. Paradoxerweise wäre er aber nie Schulleiter geworden, wenn er nicht in die Partei eingetreten wäre. So wurde er kurzerhand nach Bitburg versetzt. Der Schuldienst an der Kreisberufsschule begann im Schülerheim (Standort: heutiges Gymnasium). Mit ein paar Baracken wurde zusätzlich Schulraum geschaffen.1948 siedelte die ganze Familie um. Wir wohnten in der Trierer Straße im Hause Gangolf in der zweiten Etage. Der Wiederaufbau der Stadt und des ganzen Landes ging mit Riesenschritten voran und unser Vater war nicht zu bremsen. Er kaufte das Trümmergrundstück der Familie De Guili in der oberen Hauptstraße, ließ eine Baukolonne kommen und fing an zu bauen. Wegen der übergroßen Nachfrage der Baustoffe waren diese oft noch Mangelware. Trotzdem ging unser Bau schnell voran. Sonntags morgens nach der Messe saßen die "alten Bitburger" regelmäßig im Gasthaus "Zum Rathaus". Dort wurden die Neuigkeiten der Stadt erörtert. So auch unser Neubau. Hierzu tat ein Bitburger Geschäftsmann folgenden Ausspruch: "Is dar net en Sind un en Schand, do kinnt su frem hergelafen Volk un baut direkt gendiewer de Kirch!" Wir zogen um. Man hätte diesen Neubau ein Behelfsheim nennen können. Wir hatten keine Treppe und keine Haustür. Beides waren Provisorien. Die Toilette war das "Bauklo" der Arbeiter, ja selbst die Zimmertüren fehlten teilweise. An Anstrich der Räume war vorerst noch nicht zu denken. Die Öfen wurden aufgestellt und das übrig gebliebene Bauholz verfeuert. Bis in die oberen Etagen oder gar auf den Speicher konnte man nicht gelangen. Also hat meine Mutter im so genannten Wohnraum eine Leine gespannt und nachts dort die Wäsche getrocknet. Just an einem solchen Abend kam ein befreundetes Arztehepaar zu Besuch. Meine Mutter wäre am liebsten vor Scham in ein Mauseloch gekrochen. Der Doktor ging voran, seine Frau kam hinterher und er tat folgenden Ausspruch: "Elisabeth, ist das nicht romantisch? Warum haben wir so etwas nicht?" Nun wohne ich schon seit 1949 in diesem meinem Elternhaus und fühle mich wohl mitten in der Stadt. Hedi Weber, Bitburg