Erinnerungskultur Leben und Leiden von Juden in Bitburg

Bitburg · In Bitburg gibt es kaum noch Spuren der jüdischen Gemeinde, die in der Stadt vor dem Nationalsozialismus zu Hause war. Mit Hilfe von Dokumenten aus dem Stadtarchiv lässt sich das Schicksal dieser Menschen in Teilen rekonstruieren. Der TV hat sich mit dem Archivar Peter Neu auf Spurensuche begeben.

 Bitburgs Stadtarchivar Peter Neu hat intensive Recherche in Dokumenten betrieben, um mehr über die Geschichte der Juden in der Stadt zu erfahren. TV-Foto: Archiv/Bettina Bartzen

Bitburgs Stadtarchivar Peter Neu hat intensive Recherche in Dokumenten betrieben, um mehr über die Geschichte der Juden in der Stadt zu erfahren. TV-Foto: Archiv/Bettina Bartzen

,,Stellen Sie sich vor, Sie müssten von heute auf morgen alles zurücklassen und ihrer Heimat Lebewohl sagen", sagt Peter Neu, Archivar der Stadt Bitburg, und lässt dieser Vorstellung ein wenig Zeit zu wirken. ,,Diese Menschen waren dazu ebenso wenig in der Lage, wie wir es heute wären." Die Rede ist von den Bitburger Bürgern jüdischen Glaubens, die während der NS-Zeit gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen.

,,Diese Leute waren sehr gut integriert und lebten mehrheitlich als Händler in der ganzen Stadt verteilt", sagt Neu, der sich intensiv mit Dokumenten beschäftigt hat, die über das Schicksal der Bitburger Juden Aufschluss geben. Sibilla Joseph beispielsweise lebte schon vor dem einsetzenden NS-Terror ein isoliertes Leben. ,,Sie hatte ein uneheliches Kind von einem Bitburger und wurde deswegen von den anderen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gemieden", erzählt Neu. Als die Familie Joseph im Zuge der Verkündung der Nürnberger Rassegesetze in die USA auswanderte, blieb sie in Bitburg zurück.

Zum Verhängnis wurde ihr ein Nervenzusammenbruch, den sie in der Reichspogromnacht im November 1938 erlitt. Als sie mit ansehen musste, wie SA-Männer das jüdische Gotteshaus demolierten, drangen laute Schreie aus ihrer Wohnung. Nachbarn riefen die Polizei. ,,Sie wurde daraufhin in Schutzhaft genommen und später in die Nervenheilanstalt in Andernach eingewiesen", sagt Neu. Besonders perfide: Dort kam sie unter die Obhut eines als Nationalsozialisten bekannten Pflegers, auf den nach ihrem Tod außerdem ihr gesamtes Vermögen überging. ,,Ob es sich um ein natürliches Ableben handelte, ist unklar", sagt Neu.

Das Ehepaar Juda hat das NS-Regime überlebt. Doch traumatisierende Erfahrungen blieben auch ihnen nicht erspart. Ihre Geschichte: ,,Die Judas flüchteten zunächst nach Luxemburg. Als die Wehrmacht einmarschierte, wurden sie interniert", sagt Neu. Karl Juda kam nach Wittlich, konnte aus dem dortigen Internierungslager jedoch fliehen. ,,Er schlug sich bis in die Schweiz durch und zwar, indem er durch den Rhein schwamm. Dort wurde er aber sofort wieder abgeschoben. Als er sich daraufhin auf den Weg zurück nach Luxemburg machte, war seine Frau bereits mit ihren Eltern in Auschwitz", erzählt Neu.

Während Karl Juda bei einem befreundeten Bauern in der Nähe von Echternach bis zum Kriegsende Unterschlupf fand, fielen seine Schwiegereltern unmittelbar nach der Ankunft im KZ Auschwitz den Selektionen zum Opfer. Seine schwangere Frau überlebte, musste jedoch mit ansehen, wie das Kind, das sie im Konzentrationslager zur Welt brachte, vor ihren Augen bei lebendigem Leib verbrannt wurde.

,,Nach dem Krieg eröffnete das Ehepaar Juda ein Herrenbekleidungsgeschäft in Bitburg. Ich erinnere mich daran, dass Frau Juda sich immer sehr still und zurückhaltend verhielt. Sie war traumatisiert. Ich frage mich bis heute, wie diese Menschen es fertigbrachten, an den Ort ihres Leids zurückzukehren", erklärt der Archivar. Die starke Bindung an die Heimatstadt ist ein Phänomen, das sich bei nahezu allen Bitburger Juden beobachten lasse, egal ob sie nach dem Krieg zurückkehrten oder nicht.

So besuchte Ruth Joseph, die Deutschland als junge Frau in Richtung USA verlassen hatte, Bitburg öfter. Neu: „Sie hegte keinen Groll gegen die Menschen hier." Nur eines, sagt der Stadtarchivar, habe sie immer wieder irritiert: ,,Es wunderte sie, dass es in der Stadt nichts gibt, was an die jüdische Geschichte Bitburgs erinnert."

INTERVIEW: DREI FRAGEN AN den Bitburger Stadtarchivar Peter Neu:

Glauben Sie, dass eine Verlegung von Stolpersteinen in Bitburg Sinn machen würde? Neu: Gedenken macht grundsätzlich immer Sinn. Ob es gerade in Form von Stolpersteinen geschehen muss, soll der Stadtrat entscheiden. Man sollte aber auch über die Alternativen zu Stolpersteinen wie etwa einer Stele nachdenken.

Wie groß war die jüdische Gemeinde vor 1933 und wie viele dieser Menschen fielen dem Holocaust zum Opfer? Neu: Es gab etwa 45 jüdische Bürger in Bitburg. Das entspricht einem Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung Bitburgs. Nach jetzigem Stand fielen 14 dieser Menschen dem Holocaust zum Opfer.

Warum halten Sie es für wichtig, dass sich junge Leute heutzutage mit diesem Thema beschäftigen? Neu: Ganz einfach: Damit so etwas wie Auschwitz nie wieder möglich ist. Deshalb halte ich vor allen Dingen die Beschäftigung mit dem Holocaust im Schulunterricht für sehr wichtig. (mro)

Jüdische Gemeinde: Der kleinen jüdischen Gemeinde, die vor 1933 in Bitburg lebte, gehörten rund 45 Menschen an, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 vor den Nationalsozialismus flüchteten. Sie mussten ihren Besitz zu Niedrigstpreisen verkaufen. 14 starben nach derzeitigem Stand der Recherchen von Stadtarchivar Peter Neu in Konzentrationslagern. Die einzige Familie, die direkt von ihrem Zuhause in Bitburg in ein Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet wurde, war die Familie Kallmann. Entscheidet sich der Stadtrat zur Verlegung von Stolpersteinen, würde damit nur dieser einen Familie gedacht werden. (mro)

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