Mitleid ist ein teures Gut

PRÜM. Helfen oder verurteilen? Mitten in der Stadt hat eine Sozialhilfe-Empfängerin ihre Wohnung zur Müllkippe verkommen lassen. Die Vermieterin kritisiert die zuständigen Behörden, die aber weisen die Vorwürfe zurück.

 Leben auf der Kippe: Die Schlafstelle des Babys im Wohnzimmer. Der Tisch ist bis zum Rand vollgepackt mit Bierdosen, Flaschen, Essensresten und weiterem Müll.Foto: Fritz-Peter Linden

Leben auf der Kippe: Die Schlafstelle des Babys im Wohnzimmer. Der Tisch ist bis zum Rand vollgepackt mit Bierdosen, Flaschen, Essensresten und weiterem Müll.Foto: Fritz-Peter Linden

Ein verwahrlostes Kätzchen oder ein ausgesetzter Hund haben immer noch eine Chance: Mit etwas Glück werden sie von Zweibeinern mit einem Herz für geschundene Kreaturen aufgenommen, umsorgt und wieder hochgepäppelt - siehe den TV von voriger Woche und die zahlreichen Leserbriefe zum Thema "Eifel-Tierheim".Ein verwahrloster Mensch hingegen macht es seinen Artgenossen erheblich schwerer, Mitgefühl aufzubringen - und ist zudem nicht immer für Hilfe zu haben. Ein Beispiel: der aktuelle Fall einer jungen Frau in Prüm.Martina Sommer besitzt ein Haus am Hahnplatz, nur wenige Schritte von der Basilika entfernt. Im Erdgeschoss betreibt sie ein so genanntes Wellness-Studio. Direkt darüber: Eine Wohnung, in die vor gut einem Jahr eine junge Frau mit ihrem Sohn einzog. Die Sozialhilfe-Empfängerin bekam in der Zwischenzeit ein zweites Kind. Seit einigen Wochen aber hat Martina Sommer die drei nicht mehr gesehen.Das gibt es nicht nur im Fernsehen

Als sie daher in der ersten Etage nachsehen wollte, fiel sie aus allen Wolken: In jedem Zimmer Kleiderhaufen, vollgepackte Mülltüten, Essensreste, Imbisskartons, Zigarettenkippen und weiterer Unrat. "Es ist einfach eine unfassbare Sauerei", sagt sie. "Ich stehe hier in einem unglaublichen Müll. Ich habe schon Tränen geheult.""Man denkt immer, sowas gibt es nur im Fernsehen", sagt ihre Mitarbeiterin Ursula Faber. Die beiden Frauen sorgen sich um die Kinder, die inzwischen mit ihrer Mutter eine neue Bleibe bezogen haben. Auch deshalb hat sich die Vermieterin an das Jugend- und Sozialamt gewandt. Doch dort sei angeblich niemand in der Lage gewesen, bei der Familie - und in der Wohnung - nach dem Rechten zu sehen. Martina Sommer fühlt sich daher von den Behörden im Stich gelassen, spricht von einem "Skandal" und schimpft über die Verschwendung von Steuergeld. Zumal sich der Staat "Sozialschmarotzertum" längst nicht mehr leisten könne.Peter Hillen, Leiter des Sozialamts in Prüm, will die Vorwürfe "so nicht stehen lassen". Zwar äußert er sich mit Rücksicht auf den Datenschutz nicht zum vorliegenden Fall, sagt aber grundsätzlich: "Wenn jemand bedürftig ist, hat er Sozialhilfe-Anspruch. Dann ist es aber nicht Aufgabe des Amtes, die Wohnkultur des Empfängers zu beeinflussen." Zudem, stellt Hillen klar, "ist das Sozialamt nicht der Bürge für den Vermieter. So traurig das auch ist."Auch Josef Winandy, Leiter des Jugendamts Bitburg, weist die Vorwürfe zurück: "Wir haben versucht, mit der Frau Kontakt aufzunehmen und ihr Hilfe anzubieten. Das Problem ist, dass man sie so schlecht erreichen kann." Von amtlicher Untätigkeit könne jedenfalls nicht die Rede sein: "Die Kollegen sind nah dran und seit Wochen fast regelmäßig dort." Dem Jugendamt geht es nicht um Verurteilung, sondern um Unterstützung. "Jugendhilfe", sagt Winandy, "ist im Prinzip ein Angebot. Wir bieten auch Erziehungsbeistand." Ziel sei, "dass die Frau ihr Leben wieder in den Griff bekommt.""Irgendwann ist Schluss"

Ein stabilisiertes Umfeld sei immer noch besser, als die Kinder aus der Familie zu reißen, zumal es dafür hohe gesetzliche Hürden gebe. Und dann nennt Winandy eine erschreckende Zahl: Allein in Prüm habe sein Amt in diesem Jahr bereits sieben Mal so vorgehen müssen. Und bald vielleicht erneut: Sollte die Mutter sich nicht helfen lassen, sagt Winandy, "dann ist Schluss".

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