Neue Märkte braucht die Stadt?

Speicher · Die Ketten Rossmann und Netto wollen zwei Filialen in der Speicherer Kapellenstraße aufmachen. Das wird noch mehr Kunden in die Einkaufsmeile am Stadtrand locken - auch in die Fußgängerzone?

Neue Märkte braucht die Stadt?
Foto: Christian Altmayer

Eine ältere Dame legt Blumen auf ein Grab. Hier ist ein Mensch begraben, der ihr etwas bedeutet haben muss - vielleicht ein Ehemann, ein Freund, ein Bruder, ein Sohn. Er ist einer von Hunderten, die auf dem Speicherer Friedhof die letzte Ruhe gefunden haben. Na gut, Ruhe ist hier vielleicht das falsche Wort.

Denn das Gräberfeld liegt direkt am Ortseingang. Alle paar Sekunden rast ein Auto vorbei, unterwegs nach Herforst oder ins Stadtzentrum. Aber dieser Tage ist es in der Kapellenstraße noch lauter als sonst.

Denn direkt gegenüber des Friedhofs wird gebaut: Ein dutzend Männer arbeitet zwischen Autohaus und Blumenhandel. Und das macht jede Menge Lärm. Hier röhrt ein Motor, dort kreischt ein Schleifgerät. Oben auf der Leiter wird gehämmert, unten im Graben geschaufelt, die Hosenbeine voller Schlamm.

Schon jetzt kann man sehen, was dort entstehen soll, wo vor Jahren mal ein Aldi-Markt war. Der Grundriss des Netto-Discounts steht. Direkt nebenan, im selben Gebäudekomplex, wird eine Filiale der Drogeriemarktkette Rossmann gebaut.

Und wie gehen die Arbeiten voran? "Übernächste Woche kommt das Dach an die Reihe", sagt Bauleiter Frank Reichertz von der Binsfelder Firma Neisses. Die hat den Auftrag von der Projektentwicklungsgesellschaft Ratisbona aus Bayern. Reichertz rechnet damit, dass das Gebäude bis Ende Mai steht. Danach geht es mit dem Innenausbau weiter: "Elektrik, Verputz und so weiter".

Bis die ersten Kunden durch die Schiebetüren gehen, wird es also noch eine Weile dauern. Ursprünglich sollten die Geschäfte spätestens im ersten Quartal 2017 eröffnen (der TV berichtete). Aber das ist schon seit gut einem Monat vorbei. "Dieses Jahr klappt das sicher noch", meint der Bauleiter. Bürgermeister Manfred Rodens weiß es noch genauer: Bis Juli sollen die Märkte fertig werden.

Was man sich davon verspricht? "Dass mehr Menschen nach Speicher kommen", sagt er, und zwar nicht nur in die Geschäfte am Ortseingang, sondern auch in die Innenstadt. So jedenfalls der Plan. Noch wirkt die Fußgängerzone wie ausgestorben. Die Märkte wollen aber dorthin "wo Leben ist", sagt der Bürgermeister selbst. Und Leben, das finde man in Speicher eher am Stadtrand, wo Rewe, Aldi und Co. ihre Filialen haben. Wenn dort eine Drogerie entstehe, sei das immer noch besser, als gar keine in Speicher zu haben. So sei zumindest die Grundversorgung gesichert.

Langfristig wolle man sich aber auch um die Innenstadt kümmern, sagt Rodens, vor allem um die Leerstände. Aber das ist eine andere Baustelle. Nun zurück zu jener in der Kapellenstraße: Dort, im Graben, schiebt ein Bagger Erde vor sich her. Die Schaufel der Maschine gräbt sich in den Boden und wirft die Ladung auf einen Lastwagen. Steine klackern auf Metall. Nebenan türmen sich Erdberge auf, dazwischen liegen Gitter und Rohre: gelbe, schwarze, weiße.

Bald wird man aufräumen müssen: Denn auf dem Gelände soll ein Parkplatz für rund 60 Autos entstehen. Bis Juli bleibt also noch viel zu tun. Die Friedhofsbesucher werden sich vorerst wohl an den Baulärm gewöhnen müssen.

Meinung
Noch ist nichts verloren

Was sollen die Speicherer schon machen, wenn die Märkte einfach nicht in die Innenstadt ziehen wollen? Man kann sie ja schlecht zwingen. Die Einkaufsmeile am Stadtrand wächst weiter und weiter, während die Fußgängerzone ausstirbt - man kennt das aus Wittlich. Doch noch ist nichts verloren.

Die Speicherer dürfen den Kampf bloß nicht aufgeben. Die Stadt muss etwas gegen die Leerstände unternehmen - neu vermarkten, zur Not auch abreißen und Platz für Neues schaffen: zum Beispiel für Parkplätze. Und die Händler? Die müssen auf die Konkurrenz reagieren und ein neues Angebot schaffen. Eins, für das es sich lohnt, sein Auto in der Innenstadt abzustellen.

Fragen und Anregungen zu Kommentar oder Artikel richten Sie an: c.altmayer@volksfreund.de

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