Nicht alle schreien vor Glück

Bitburg · Es gibt viele Themen, über die sich Einzelhändler und Gastronomen in der Bitburger Innenstadt den Kopf zerbrechen. Aber meist tut das jeder für sich allein. Eine neue Gruppe des Gewerbevereins will das ändern. Das Team Innenstadt setzt sich für mehr Austausch und Zusammenarbeit ein. Erste Aktion ist die Braderie am Samstag.

 Die erste Braderie soll am Samstag Kunden in die Fußgängerzone ziehen. Das Plakat am Bauzaun findet bereits Beachtung. TV-Foto: Dagmar Schommer

Die erste Braderie soll am Samstag Kunden in die Fußgängerzone ziehen. Das Plakat am Bauzaun findet bereits Beachtung. TV-Foto: Dagmar Schommer

Bitburg. Schrei vor Glück mag für Online-Händler wie Zalando gelten. Denn das Internetgeschäft boomt. In den Innenstädten heißt es angesichts rückläufiger Umsatzzahlen eher: Schrei vor Schreck. Immer mehr Kunden bestellen Kleidung, Schuhe, Bücher oder Elektrogeräte per Mausklick im weltweiten Netz anstatt die örtliche Fußgängerzone rauf und runter zu flanieren. Besonders betroffen sind Studien zufolge (siehe Hintergrund) kleine Städte, die im Vergleich zu Großstädten ohnehin kein Einkaufserlebnis á la Ku\'Damm oder bieten können.
Einfluss auf Politik nehmen


In Bitburg wollen die Händler es nun gemeinsam angehen. Im Gewerbeverein wurde eine neue Gruppe gegründet: das Team Innenstadt. Motto: Gemeinsam sind wir stärker. Nicht nur dann, wenn es um Aktionen wie die Braderie am Samstag (siehe Extra) geht. Sondern auch dann, wenn man sich Gehör bei Politik und Verwaltung verschaffen will - ob es nun um Positionen zum Ring oder zur Sanierung der Fußgängerzone geht. "Uns treibt die Frage um, was man für die Innenstadt tun kann", umreißt Stefan Bohl vom Vorstand des Gewerbevereins den Arbeitsauftrag der Gruppe, zu deren Initiatoren er gehört. Dass bei der ersten Aktion des Teams, der Braderie, gleich 60 Händler, Gastronomen und Vereine mitziehen, zeigt: Das Potenzial für eine Zusammenarbeit ist da. Gefehlt hat eine Plattform, um solche Aktionen zu planen.
Lange Jahre haben sich Bitburgs Händler im Arbeitskreis Stadtmarketing mit Verwaltungsangestellten der Stadt und Gewerbevereinsvorstand getroffen. Doch dieser Arbeitskreis fand zuletzt - die jüngste Sitzung war im März 2013 (!) - kaum Resonanz. "Mangels Beteiligung haben wir vorerst keine weiteren Sitzungen anberaumt", sagt Werner Krämer, Pressesprecher der Stadt. Er bestätigt: "Da war die Luft irgendwie raus." Das war mal anders.
Neuer Impuls gesucht


Vor mehr als zehn Jahren wurde sich im Stadtmarketing das Halloween-Shopping ausgedacht - ein Einkaufsspektakel, das seither am 31. Oktober Tausende Besucher in die Stadt zieht. Doch zuletzt dominierten Rückblicke auf abgelaufene und Ausblicke auf noch anstehende Veranstaltungen die Agenda. Diskutiert wurde selten.
"Aus unserer Sicht ist es sehr gut, dass nun ein Vorstoß von den Gewerbetreibenden selbst kommt", sagt Krämer, der sich vorstellen könnte, dass sich Team Innenstadt und Stadtmarketing ergänzen - sollte denn der Arbeitskreis noch mal tagen. Krämer: "Wir müssen da vielleicht einen neuen Anlauf starten. Etwa mit einem Impuls durch einen Fachvortrag." Dass sich beide Gruppen bereichern könnten, finden auch die Händler. "Ich sehe das Stadtmarketing eher als übergeordnetes Dach", sagt Lars Messerich, Geschäftsführer des gleichnamigen Modehauses, und erklärt: "Für mich geht es beim Team Innenstadt darum, wie wir Händler als Gesamtheit auftreten können, welche Aktionen, Werbemaßnahmen oder Vereinbarungen etwa im Bereich der Ladenöffnungszeiten wir treffen, um die Innenstadt zu stärken." So sieht es auch Kai-Uwe Klos, Geschäftsführer von Mediaparts: "Mich interessieren die Themen direkt vor meiner Ladentür: ob die Baustelle am Spittel, die Gestaltung der Fußgängerzone oder der Ring. Da will ich mich einbringen." Peter Hein, Geschäftsführer Kunstecke Hein, sagt: "Mein Wunsch ist jenseits von Aktionen wie der Braderie, dass wir Händler und Gastronomen uns mal anfangen, als Gemeinschaft zu begreifen."Meinung

Damit die Stadt auf Kurs bleibt
Natürlich liegt es an jedem Händler selbst, sein Angebot - von der Auswahl der Waren über die Beratung bis hin zum Service - so attraktiv zu gestalten, dass er Kunden gewinnen und binden kann. Aber: Sich alleine gegen einen Strukturwandel zu stemmen, den der wachsende Internethandel den Innenstädten beschert, ist ein schwieriges Unterfangen. Nur gemeinsam können Händler und Gastronomen es schaffen, "ihre" Stadt so lebendig und warmherzig zu gestalten, dass die Leute gerne kommen - selbst wenn im Netz die Auswahl größer und die Preise günstiger sind. Die Gründung des Teams Innenstadt ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Agenda ist von Ladenöffnungszeiten bis zur Parkplatzfrage groß. Dass dabei nicht alle Geschäftsleute einer Meinung sind, ist klar. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. Alle sitzen in einem Boot - und das gilt es, auf Kurs zu halten. Auch im eigenen Interesse. d.schommer@volksfreund.deExtra

Zur ersten Braderie in der Bitburger Innenstadt haben die Geschäfte am Samstag, 26. Juli, alle von 10 bis 18 Uhr zum "Sommer-Raus-Verkauf" geöffnet. Die Händler bieten Ware besonders günstig an Flohmarktständen vor ihren Läden an. Auch Schaufenster-Deko wird verkauft. Zudem gibt es mit Musik, Tanz, Marionettentheater, Straßenkünstlern sowie einer Rallye für Kinder ein buntes Rahmenprogramm - an Standorten quer durch die Fußgängerzone. Es ist die erste Aktion des neuen Teams Innenstadt. schoExtra

Aktuelle Umfrageergebnisse des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) zeigen, dass Fahrten in die Stadtzentren aufgrund von Online-Bestellungen bei jedem Dritten seltener geworden sind. Die Kunden kaufen lieber per Mausklick. Mehr als 40 Prozent der Frauen - Kernzielgruppe vieler Händler - verzichten zunehmend darauf, in die Innenstadt zu fahren und shoppen stattdessen von zu Hause aus. Mehr als 60 Prozent der Einzelhändler klagen nach Angaben des Einzelhandelsverbandes Deutschland (HDE) über nachlassende Frequenz in ihren Läden. Allein in den Jahren 2005 bis 2014 ist der Umsatz im Online-Handel von 14,5 Milliarden Euro auf knapp 40 Milliarden Euro gestiegen. Zum Vergleich: Insgesamt rechnet der HDE damit, dass im Einzelhandel - einschließlich Online-Handel - 440 Milliarden Euro umgesetzt werden. Das geht an den Läden in den Innenstädten nicht spurlos vorbei. "Der starke Online-Handel sorgt bei vielen stationären Fachhändlern für schwächere Kundenfrequenzen", sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands Deutschland. Damit beschleunige der Online-Boom den Strukturwandel im Handel und in den Innenstädten. scho

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