Prozess in Trier: 42-Jährige mit tragischem Schicksal soll Bruder mit Küchenmesser attackiert haben

Trier · Einer 42-Jährigen wird vorgeworfen, ihren Bruder in der Südeifel mit einem Küchenmesser attackiert zu haben. Nun soll geklärt werden, ob sie eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.

Wie eine Bedrohung für die Allgemeinheit wirkt die Angeklagte an ihrem zweiten Prozesstag nicht. Im März begann die Verhandlung mit einem Wutausbruch der 42-Jährigen, die ihren Bruder im Oktober des vergangenen Jahres ein Küchenmesser in den Rücken gestochen und damit leicht verletzt haben soll. Doch nun wirkt sie ruhig und gefasst, flüstert nur ab und zu ihrem Anwalt etwas zu. Laut des Gutachtens von Psychiaterin Dr. Sylvia Leupold war das noch anders, als diese die Angeklagte zum ersten Mal in der psychiatrischen Klinik Nette-Gut besuchte, um sie zu untersuchen.

Die Angeklagte habe alle Zellenwände bemalt, in "ohrenbetäubender Lautstärke" wirr vor sich hin geredet, ohne auf Fragen einzugehen und behauptet, sie sei die "Herrscherin des Imperiums" und das Klinikpersonal wolle sie vergiften. Ihr Zustand hat sich laut Leupold nur durch die regelmäßige Zwangsverabreichung anti-psychotischer Medikamente leicht verbessert.

In der Klinik ist die Angeklagte seit dem mutmaßlichen Messerangriff. Die dritte große Strafkammer am Trierer Landgericht soll nun entscheiden, ob sie dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird - zum Schutz der Allgemeinheit. Der Lebenslauf der Angeklagten ist schwer zu rekonstruieren. Auch die Aussagen ihres zweiten Bruders sind nur einzelne Teile eines unvollständigen, tragischen Puzzles: Mit drei Jahren sei sie der Mutter weggenommen worden und im Kinderdorf aufgewachsen, vor 22 Jahren sei der Vater ermordet worden, sie habe eine Zeit lang auf der Straße gelebt. Viel mehr weiß das Gericht nicht über das Leben der Luxemburgerin, bevor sie nach Deutschland kam. Und laut Leupold kann die Angeklagte selbst wegen ihrer Wahnvorstellungen keine zuverlässigen Aussagen über ihre eigene Identität machen.

Der zweite Bruder mutmaßt außerdem, dass sie eine sexuelle Beziehung zu dem Bruder hatte, den sie attackiert haben soll und mit dem sie bis dahin in einer Gartenlaube zusammen lebte. Die Angeklagte streitet das ab. Außerdem behauptet sie, sie habe aus Notwehr gehandelt: Ihr Bruder, der in Wirklichkeit nicht ihr Bruder, sondern ein international gesuchter Terrorist sei, habe sie bedroht. Dieser ist trotz Vorladung zum ersten Verhandlungstag nicht erschienen, nun wird er im Streifenwagen zum zweiten Termin gebracht.

Doch die Aussage des, anscheinend ebenfalls verwirrten, Mannes bringen nur wenig Licht ins Dunkel. Er redet laut, schnell, undeutlich und ohne roten Faden. Er habe unter der Dusche Geschirr gespült, als seine Schwester ihn von hinten mit dem Messer angegriffen habe. Immer wieder betont er energisch: "Mehr kann ich nicht sagen!" Doch sein Bruder, sagt er, würde nur Lügen erzählen. Er will mit den Geschwistern nichts mehr zu tun haben. Das Fazit der Gutachterin: Die Angeklagte leidet unter einer akuten schizophrenen Psychose (siehe Info). Da sie Wahnvorstellungen hat, könnte sie sich schnell grundlos bedroht fühlen und wieder gewalttätig werden.

Die Tatsache, dass sie sich ihrer Krankheit nicht bewusst ist und die Medikamente nicht freiwillig nimmt und außerdem kein soziales Netzwerk hat, das sich um sie kümmert, steigert das Risiko zusätzlich. Mit psychotherapeutischer Betreuung und Medikation in einer Wohneinrichtung sei sie jedoch "so ungefährlich wie jeder andere Mensch auf der Straße".

Der Prozess wird am Mittwoch, 12. April fortgesetzt. Dann sollen die Plädoyers beider Seiten folgen.
Extra: WAS IST EINE SCHIZOPHRENE PSYCHOSE?

Charakteristische Störungen schizophrener Menschen betreffen die Wahrnehmung, das Denken und die komplette Persönlichkeit. Häufig leiden Betroffene an Wahnvorstellungen, sie halluzinieren etwa Stimmen, die zu ihnen sprechen und fühlen sich grundlos verfolgt oder bedroht. In den meisten Fällen treten die Symptome in Schüben auf. In Europa leiden etwa 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung an Schizophrenie.

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