"Reisender ohne gültige Fahrkarte"

PLASCHEID. Weil er seine neue Monatskarte für den Schulbus nicht dabei hatte, zeigte ein Zwölfjähriger die Karte eines Freundes – und fiel damit auf. Die Rhein-Mosel-Verkehrsgesellschaft möchte nun 40 Euro und droht mit einer Anzeige. Und das, obwohl die Fahrkarten für Schulkinder vom Kreis für das komplette Schuljahr bereits bezahlt sind.

 Grundschüler steigen in einen Bus ein – ein Vorgang, der sich täglich tausendfach in Deutschland wiederholt. In Plascheid gab es jetzt Ärger wegen einer vergessenen Fahrkarte. Foto: dpa

Grundschüler steigen in einen Bus ein – ein Vorgang, der sich täglich tausendfach in Deutschland wiederholt. In Plascheid gab es jetzt Ärger wegen einer vergessenen Fahrkarte. Foto: dpa

Noch etwas verschlafen steht Lindau morgens um kurz nach sieben Uhr an der Bushaltestelle in Plascheid. Jeden Moment müsste sein Bus kommen, der ihn zur Schule nach Neuerburg fährt. Dann der Schreck: Seine Mutter hat ihm die Busfahrkarte für den neuen Monat nicht mitgegeben. Um noch mal nach Hause zu laufen, dafür reicht die Zeit nicht. Busfahrerin macht sich keine Vorwürfe

Also greift der Zwölfjährige zu einer List. Als der Bus kommt, zeigt er die Busfahrkarte eines Freundes, in der Hoffnung, dass das nicht auffällt. Falsch gedacht. Die Busfahrerin schaut diesmal etwas genauer hin. Der Schwindel fliegt auf. Die Busfahrkarte des Freundes wird eingezogen. Lindaus Eltern bekommen von der Rhein-Mosel Verkehrsgesellschaft (RMV) eine Zahlungsaufforderung in Höhe von 40 Euro und einen Brief, der es in sich hat. In dem Schreiben der RMV heißt es: "Ihr Sohn Lindau zeigte beim Einstieg in den Bus die Fahrkarte eines Mitschülers vor, um sich auf diesem Weg die Beförderungsleistung zu erschleichen. Als dies bei der Überprüfung festgestellt wurde, galt er somit als Reisender ohne gültigen Fahrausweis und ist somit zur Zahlung eines erhöhtes Beförderungsgeldes verpflichtet." Marlies Fuchs, Lindaus Mutter, sieht das jedoch völlig anders: "Von Erschleichen der Beförderungsleistung kann doch gar nicht die Rede sein, schließlich sind die Karten für das komplette Schuljahr bereits von der Kreisverwaltung bezahlt." Ihren Sohn möchte sie jedoch nicht in Schutz nehmen: "Natürlich war Lindaus Verhalten falsch, doch hier hat ja keiner einen finanziellen Schaden." Die RMV stuft Lindaus Verhalten jedoch nicht als Lausbuben-Streich ein, sondern als Vergehen. Daher heißt es in dem Schreiben weiter: "Man muss sich im Klaren sein, dass bereits mehrere Tatbestände des Strafgesetzbuches erfüllt sind (Paragraf 265a Erschleichen von Leistungen und Paragraf 263 StGB Betrug bzw. Beihilfe zu diesen Tatbeständen), wenn die Beförderungsleistung ohne einen gültigen Fahrausweis in Anspruch genommen oder versucht wird." Jeden Tag fahren dieselben Kinder aus den kleinen Eifeldörfern mit dem Schulbus nach Neuerburg, fast immer mit derselben Busfahrerin. Andere Fahrgäste sind nie im Bus. "Da stellt sich doch die Frage, warum dort überhaupt kontrolliert werden muss", gibt Marlies Fuchs zu bedenken. Die Kontrolle ist laut RMV jedoch notwendig, da es sich hierbei nicht um einen Schulbusverkehr, sondern um normalen ÖPNV handelt. Die Busfahrerin, die für das Busunternehmen Bertram Thommes in Daleiden arbeitet, macht sich jedoch keine Vorwürfe, schließlich werde sie von der RMV angehalten, die Fahrkarten zu überprüfen. Die RMV wiederum schickt häufig Kontrolleure durch die Busse. Fällt dann jemand ohne Fahrschein wie Lindau auf, dann bekommt nicht nur der "Schwarzfahrer", sondern auch der Busfahrer Ärger, weil er die Fahrkarten nicht ordnungsgemäß kontrolliert hat.Ausnahmsweise keine Strafanzeige

"Im Einzelfall klingt unsere Vorgehensweise vielleicht etwas hart, doch wir müssen beim Fahrkartenmissbrauch eine einheitliche Linie fahren", erklärt Joachim Huber, Niederlassungsleiter der RMV in Trier. Schulkindern wie Lindau, die ihre Fahrkarte vergessen haben, rät Huber ehrlich zu sein: "Dann sagt man dem Busfahrer Bescheid und zahlt einmal sieben Euro." Die Rhein-Mosel-Verkehrsgesellschaft fährt schwere Geschütze auf - vermutlich auch, um abzuschrecken. Für erwischte Schwarzfahrer oder deren Erziehungsberechtigte folge eine Vorladung und Anhörung bei der ermittelnden Polizeidienststelle. Bei Schwarzfahrern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wird von der Staatsanwaltschaft das Strafverfahren wegen Strafunmündigkeit eingestellt. Dafür wird der Vorgang an das zuständige Jugendamt weitergeleitet. Die betreffende Person sei damit bei der Staatsanwaltschaft aktenkundig. Beim Lesen des RMV-Schreibens wird Lindaus Eltern ganz anders. "Man bekommt das Gefühl, Lindau sei ein Schwerverbrecher", sagt seine Mutter. Erst auf der zweiten Seite des Schreibens steht der erlösende Satz: "Von einer Strafanzeige sehen wir zunächst ausnahmsweise ab." Lindaus Eltern wollen die Behandlung ihres Sohnes nicht auf sich sitzen lassen. Sie haben bereits eine Anwältin eingeschaltet. Die Busfahrkarten legt Marlies Fuchs ihrem Sohn nun immer rechtzeitig hin. Und auch Lindau verspricht: "Die Buskarte eines anderen werde ich bestimmt nicht mehr vorzeigen."

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