Scheidungen, Schicksale, Gummibären

Bitburg · Der Bitburger Amtsgerichtsdirektor geht in den Ruhestand. In seinen 36 Jahren als Richter hat er viel erlebt. Und viel über Menschen gelernt.

 Ein letztes Mal trägt Helmut Mencher seine Robe. Der Bitburger Amtsgerichtsdirektor geht nach 36 Berufsjahren in den Ruhestand. TV-Foto: Andrea Weber

Ein letztes Mal trägt Helmut Mencher seine Robe. Der Bitburger Amtsgerichtsdirektor geht nach 36 Berufsjahren in den Ruhestand. TV-Foto: Andrea Weber

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Bitburg "Es ist so komisch!", ruft Helmut Mencher durch den Flur. In seiner schwarzen Robe geleitet er eine Gruppe von Menschen hinaus. Seinen Talar wird der Bitburger Amtsgerichtsdirektor gleich für immer ablegen.
Denn gerade hat er seine letzte Amtshandlung als Richter vollzogen und ein deutsch-amerikanisches Ehepaar geschieden.
Nach 36 Jahren als Richter geht Mencher, der im April 65 Jahre alt geworden ist, in den Ruhestand. "Das ist ein eigenartiges Gefühl", sagt er, "weil es bedeutet, dass man das, was man sein ganzes Leben getan hat, in Zukunft nicht mehr tun kann." Vieles werde er vermissen: Den freundlichen Umgang mit den Kollegen, die Wertschätzung, die er durch seinen Beruf erfahren habe und die Arbeit mit Menschen.
Dass die ihm am Herzen liegen, merkt man ihm an. Auf seinem Schreibtisch stehen Gummibärchen und Schokolade. "Wenn ich Kinder anhöre, biete ich ihnen hinterher immer ein paar Bären an", erklärt er. Die Schokolade ist für die Erwachsenen. "Das hat sich irgendwann so eingebürgert", sagt er, "Schokolade beruhigt und macht glücklich." Mencher lacht.
Nervennahrung konnten die Menschen, die ihm gegenüber saßen, mit Sicherheit gebrauchen. "Bei Sorgerechtssachen geht es schon mal heiß her", sagt er. In den vergangenen 21 Jahren war Mencher hauptsächlich mit Familiensachen befasst. Insgesamt habe er rund 4000 Ehen geschieden, überschlägt er auf die Schnelle. "Deshalb komme ich ja auch nicht mehr in den Himmel", sagt er und lacht, "was Gott verbunden, soll der Mensch nicht trennen." Aber damit habe er sich abgefunden, "wer weiß, ob ich da überhaupt Bekannte treffen würde". Wieder lacht er.
Einmal habe er sogar ein Paar nach der Goldenen Hochzeit geschieden, "die haben sich einfach nicht mehr verstanden", sagt er und zuckt mit den Schultern. Ein anderes Mal hätten ihm bei einer Scheidung zwei Frauen gegenübergesessen, obwohl es zu der Zeit noch keine gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften gab.
"Warum? Die eine war vorher ein Mann. Die hatte eine Geschlechtsumwandlung gemacht."
Er hatte aber auch andere Fälle. Wenn man über ein Schicksal entscheide, dann könne das schon belastend sein, sagt Mencher, nun ernster. "Wenn Sie bei einer Familie den Verdacht haben, dass das Kind sexuell missbraucht wird, aber nicht genug Anhaltspunkte finden, dann macht das Kind vielleicht die schreckliche Erfahrung, dass ihm niemand hilft, obwohl es so etwas Schreckliches erlebt - allein der Gedanke macht einen verrückt!" Schön wiederum sei es, ein Verfahren so zu Ende zu bringen, dass man das Gefühl habe, etwas Gutes getan zu haben, sagt der Amtsgerichtsdirektor.
"Ich krieg auch schon mal Rückmeldung vom Jugendamt, dass das, was ich gemacht habe, sich als Segen für das Kind rausgestellt hat. Das sind dann Highlights." Einmal habe er ein völlig zerstrittenes Paar in eine Beratung geschickt. "Beim nächsten Termin sagte mir die Frau, wir reden wieder miteinander. Und die Tochter saß daneben und war glücklich."
Menchers Augen leuchten. Bei solchen Fällen sei ihm die Mediationsausbildung zugute gekommen, die er vor ein paar Jahren an der Fernuni Hagen abgeschlossen habe. Auch seine Mitarbeit beim Regionalen Psychotrauma- Netzwerk Trier habe ihm wichtige Erkenntnisse gebracht. "Warum sitzt eine Familie in einem Moment noch friedlich beim Frühstück, dann stößt das Kind ein Glas um und der Vater rastet aus und schlägt den Tisch kaputt?"
Es sei ihm wichtig gewesen, solche Dinge zu verstehen und immer neu zu lernen. "Sie sehen schon, wie ich erzähle, dass mir das alles auch fehlen wird", sagt der 65-Jährige.
Was würde der scheidende Amtsgerichtsdirektor einem jungen Kollegen raten, der gerade seine Laufbahn als Richter beginnt? "Gut beobachten, sich in die Leute hineinversetzen und trotzdem eine professionelle Distanz wahren."
Das sei eine Gratwanderung. Er selbst habe häufig auf einem Blatt Argumente für und gegen eine Entscheidung gegenübergestellt. "Und wenn das Ergebnis nicht mit meinem Bauchgefühl übereinstimmte, habe ich geschaut, was kann mich auf rationaler Ebene täuschen? Dinge sind oft nicht so, wie sie auf den ersten Blick aussehen."
Er habe sehr, sehr viel über Menschen gelernt, sagt Mencher rückblickend. Nun freut er sich aber auch auf seinen Ruhestand. "So kann ich endlich mal sieben Wochen am Stück verreisen", sagt er. Das sei während seiner Dienstzeit nicht möglich gewesen, das habe man den Kollegen nicht zumuten können. Denn - auch das sagt Mencher am Ende seiner Laufbahn - das Personal reiche gerade so. Üppig seien sie nicht ausgestattet, auch wenn der Justizminister alles versuche. "Eins habe ich in meinem Leben nicht gemacht", sagt Mencher und lacht, "Däumchen gedreht."
Extra: ZUR PERSON


Helmut Mencher ist seit 1981 Richter. Studiert hat er in Freiburg, sein Referendariat absolvierte er am Landgericht Trier. 1996 wurde er Direktor am Amtsgericht in Hermeskeil. "Da hatte ich schon etwa neun Jahre Knasterfahrung", sagt er und grinst. Zuvor war er nämlich am Amtsgericht Wittlich bei der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier für Entscheidungen über Strafaussetzung zuständig. Außerdem arbeitete er einen Monat am Tribunal de Grande Instance (vergleichbar mit dem deutschen Landgericht) in Nancy. Wegen seiner "Knasterfahrung" und seinem "Hang zum Französischen" habe er auch einmal im Jahr in Paris an der Richterschule über deutsche Strafvollstreckung referieren dürfen. Im März 2008 kam er schließlich nach Bitburg, wo er seine letzten neun Berufsjahre als Direktor des Amtsgerichts verbracht hat.

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