"Schrammen fürs Leben"

BITBURG/PRÜM. Das Jugendamt Bitburg-Prüm hat einer 21-jährigen Frau das Sorgerecht für ihr neugeborenes Kind entzogen (der TV berichtete). Da diese sich an die Presse wandte, geriet der Fall an die Öffentlichkeit. Zahlreiche Pflegemütter haben inzwischen Stellung zu dem Fall genommen und betonen die durchaus fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Amt.

Viele Pflegeeltern finden, dass die Arbeit des Jugendamts Bitburg-Prüm häufig zu negativ beurteilt wird. In einem Gespräch mit dem Trierischen Volksfreund sprachen drei Pflegemütter und Diplom-Sozialpädagogin Claudia Aßmann-Bach über ihre Erfahrungen, die sie mit Pflegekindern und dem Jugendamt Bitburg-Prüm gemacht haben. Da ist zum Beispiel Silvia R. (Namen von der Redaktion geändert), Pflegemutter von vier Kindern. Als sie hörte, dass die Mutter ihres ersten Pflegekindes wieder Nachwuchs bekommen sollte, bot sie dem Jugendamt an, auch das Geschwisterkind aufzunehmen. Die drei ersten Kinder der Mutter wuchsen bereits in Pflegefamilien auf. Doch das Jugendamt gab dieser Frau eine vierte Chance. Diese dauerte ein halbes Jahr. Dann war es nach Auffassung der Behörde nicht mehr länger zu verantworten, das Kind bei seiner leiblichen Mutter aufwachsen zu lassen. "Die Fakten sprechen für sich"

Als diese ein fünftes Mal schwanger wurde, habe das Amt der Mutter und dem Kind wieder die Möglichkeit gegeben, es dieses Mal besser zu machen, erzählt Silvia R. Nach zwei Jahren sei jedoch die Toleranzgrenze überschritten gewesen. Auch dieses Kind wurde von einer Pflegefamilie aufgenommen. Die Mutter hat zu ihren Kindern, die bei Silvia R. leben, nur wenig Kontakt. "In den vergangenen fünf Jahren wollte sie ihre Kinder gerade einmal sehen", erklärt die Pflegemutter. Tätig wurde die Behörde auch im Falle eines kleinen Mädchens, das mit massiven Schädelverletzungen, sichtbarer Unterernährung und Hämatomen in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Die behandelnden Ärzte meldeten sich beim Jugendamt wegen des Verdachts auf Kindesmisshandlung. Das Kind kam sicherheitshalber zu einer Bereitschaftspflegefamilie. "Die Fakten sprechen für sich. Sollte das Kind zurück zu seiner Mutter, bange ich wirklich um sein Leben", sagt Pflegemutter Katharina S., die vier Pflegekinder aufgenommen hat. Pflegemutter Andrea M. sorgt für drei Kinder. Eines ihrer Pflegekinder kam im Alter von drei Monaten zu ihr, da sich die Mutter überfordert fühlte. Die Beziehung zum Kindsvater war zerbrochen. Sie selbst war als Heimkind groß geworden und lehnte eine Aufnahme in ein Mutter-Kind-Heim kategorisch ab, wo sie im Zusammenleben mit ihrem Baby unterstützt worden wäre. "Es gibt unzählige Fälle, in denen das Jugendamt Kindern das Leben gerettet hat. Darüber spricht keiner", sagt Katharina S. kritisch. Die Leute schreien, wenn in den Medien spektakulär über die Wegnahme eines Kindes berichtet wird. Aber wenn so ein Kind, um das sich ein Leben lang keiner richtig gekümmert hat, als 20-Jähriger zum Kriminellen wird, dann wechseln genau die Leute die Straßenseite und rümpfen die Nase", sagt sie. Doch das Gegenteil ist der Fall: Dass die Kinder ihr Leben lang traumatisiert sind, beobachten alle drei erfahrenen Pflegemütter. Sie berichten von tief sitzenden Ängsten, wie Angst vor Einsamkeit, vor Verlassenwerden, vor Gewalt und Autorität. Sie sitzen neben den Kinderbetten, wenn die Kinder von Alpträumen geplagt werden. Sie gehen mit den Kindern zu Therapeuten, weil sie oft in ihrer Entwicklung Defizite haben. "Ich kenne kein einziges Pflegekind, dass nicht therapiebedürftig ist", sagt Andrea K.

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