"So geht es nicht weiter" - Bürgermeister plädiert für Rückbau des Innenstadtrings

Bitburg · Kein Thema hat Bitburg so bewegt, wie der Innenstadtring. Die Protestwelle, die schließlich in einem Bürgerbegehren gemündet ist, hat auch Joachim Kandels überrascht. Der Bürgermeister, der lange für den Ring war, beantragt in der heutigen Stadtratssitzung den Rückbau des Verkehrsprojekts. Eine Entscheidung, die ihm nicht leicht gefallen ist.

Auf der Straße, an der Theke oder am Küchentisch: Kein Thema wird in Bitburg so hitzig diskutiert wie der Innenstadtring. Wo auch immer gerade davon die Rede ist, entsteht der Eindruck: Die meisten hassen den Ring. Er ist für sie ein unnötiges Ding, ein Unding. Selten fällt ein positives Wort. Nachdem der Stadtrat im Herbst eine Verlängerung der Testphase beschlossen hat, hat sich die Situation weiter zugespitzt. Bürgermeister Joachim Kandels sieht den "inneren Frieden" gefährdet. Heute plädiert er, lange Ring-Befürworter, im Stadtrat für einen Rückbau (der TV berichtete). Im Interview mit Redakteurin Dagmar Schommer erklärt er, wie es zu der Kehrtwende kam.

Unterschriftenlisten, Protestwellen, Bürgerbegehren: Haben Sie mit diesem Aufruhr gerechnet?
Kandels: Nein, das habe ich in dieser massiven Form nicht erwartet. Zwar wurde gleich zu Beginn der Testphase deutlich, dass die neue Verkehrsführung nicht bei allen auf Gegenliebe stößt. Aber der Unmut hat sich dann doch sehr gesteigert. Der Ring wurde von Anfang an bis zum heutigen Tage boykottiert und sogar sabotiert. In den vergangenen Wochen wurden die Angriffe dann auch sehr persönlich.

Zum Beispiel?
Kandels: Das möchte ich öffentlich nicht wiedergeben. Es war in Teilen schon beleidigend, respektlos und in Einzelfällen auch ausfallend. Es geht aber nicht darum, dass ich unter Beschuss gestanden habe. Auch wenn ich finde, dass man so nicht miteinander umgehen sollte. Der Punkt ist: Die Situation ist insgesamt für die Stadt nicht länger tragbar.

Sind Sie eingeknickt?
Kandels: Nein, das hat damit nichts zu tun. Ich muss eine vernünftige Lösung für alle finden und den Versuch, die Diskussion zu versachlichen, in dem wir wieder alles auf null setzen und in einer besseren Atmosphäre konstruktiv an Lösungen arbeiten. Mit einem Rückbau sind die existierenden Probleme nicht gelöst.

Welche Probleme? Viele meinen doch, dass ohne Ring die Bitburger Welt in Ordnung wäre…
Kandels: Das ist mir bekannt. Aber der Kreisverkehr an der Brodenheckstraße/Neuerburger Straße ist bereits jetzt überlastet. Wir haben dort einen neuen Edeka, der natürlich auch Verkehr produziert. Das gilt auch für die Tiefgaragen-Ausfahrt, die in Kürze vom Neubau auf dem Spittel zum Borenweg entsteht. Spätestens, wenn das Krankenhaus baut, muss der Verkehr in dem Bereich einspurig geführt werden. Dann stehen wir wieder vor Ampeln - womöglich deutlich länger sogar als zuvor.

Und dennoch schlagen Sie dem Rat heute vor, für einen Rückbau zu stimmen. Warum?
Kandels: Das ist eine Entscheidung, die mir nicht leicht gefallen ist. Da sind mehrere Faktoren zusammengekommen. Es wird nicht möglich sein, die Unfallzahlen in dem vom Landesbetrieb Mobilität geforderten Umfang binnen eines halben Jahres zu senken. Da macht es keinen Sinn, noch bis April zu warten.

Also waren es vor allem die Unfallzahlen?
Kandels: Natürlich haben mich auch die Proteste nicht kalt gelassen. Eine derart hohe Beteiligung bei einem Bürgerbegehren wie auch die Umfrage der Industrie- und Handelskammer unter den Geschäftsleuten kann ich nicht ignorieren. Etliche Briefe und viele persönliche Gespräche haben dazu geführt, dass ich mir gesagt habe: Wir haben einen Punkt erreicht, an dem es so nicht weitergehen kann. Der innere Friede der Stadt ist gefährdet. Zudem wollte ich nicht, dass der Streit bis in den Sommer und damit in unser Stadtfest hinausgezögert wird. Da wollte ich, da musste ich handeln.

Manche Bürger werden sich fragen: warum erst jetzt?
Kandels: Ich hatte gehofft, es würden sich auch Ringbefürworter mit der Zeit stärker zu Wort melden und mobilisieren. Außerdem ist es ja nicht so, als ob ich als Bürgermeister machen könnte, was ich wollte. Ich habe in erster Linie die Beschlüsse des Rats umzusetzen. Und der Rat hat nach Beratung mit Fachleuten entschieden, den Ring zu testen und die Testphase zu verlängern. Das ist ein demokratisch legitimiertes Gremium - und hat über dieses Thema nie leichtfertig entschieden.

Apropos Demokratie: Wie erklären Sie sich, dass der Ring bei der Kommunalwahl nicht abgewählt wurde? Es gibt ja Parteien, die ganz klar gegen das Projekt sind.
Kandels: Schwer zu sagen. Aber es passt zu der Wutbürger-Kultur, wo Leute erst dann anfangen, sich für politische Entscheidungen lautstark zu interessieren, wenn sie selbst direkt persönlich betroffen sind. Hinzu kommt, dass die sozialen Netzwerke im Internet auch eine Kultur fördern, dass jeder sich zu allem äußern kann, am liebsten anonym. Ich halte viel von Bürgerbeteiligung. Aber es ist nicht möglich, alles per Bürgerbefragung zu entscheiden. Dafür gibt es ja den Stadtrat. Ziel muss es sein, Bürgern verständlich zu machen, warum Entscheidungen anstehen und sie stärker einzubeziehen.

Ist das Geld für die ganze Ring-Testerei nun verschwendet?
Kandels: Zunächst mal wurde ja einiges an Material wie beispielsweise Schilder angeschafft, die auch unabhängig vom Ring gebraucht werden. Dann gab es große Baustellen, die ohne Ringlösung zu erheblichen Beeinträchtigungen geführt hätten. Ich finde es richtig, dass wir das ausprobiert haben. Wir hätten uns angesichts der Neubau-Projekte in der Innenstadt noch lange gefragt, ob ein Ringverkehr funktionieren könnte oder nicht. So hat die Testphase auch die Erkenntnis gebracht, dass eine Umfahrung, wie sie mit der Nord-Ost-Tangente geplant ist, die Stadt um viel Durchgangsverkehr entlasten würde.Hätte man den Ring genau deshalb rückblickend betrachtet erst mit der Tangente angehen sollen?
Kandels: Verkehrsplaner sind ja zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ringverkehr auch ohne Tangente möglich ist. Aber natürlich könnte schon ein Teilstück der Tangente von der Albachstraße zum Sonnenhof viel abfangen. Da werden wir beim Land auch weiter drauf pochen.

Ihre Erwartung für die Sitzung?
Kandels: Ich bin auf alles gefasst.

Der Stadtrat tagt am Donnerstag um 17 Uhr im Rathaus.Extra: Ring Chronologie

August 2012: Der Stadtrat stimmt mehrheitlich bei sieben Gegenstimmen für eine Innenstadtring-Testphase.
Juli 2013: Das mit der Einrichtung des Rings beauftragte Unternehmen hat Lieferschwierigkeiten. Deshalb verschiebt sich der Beginn der Testphase.
September 2013: Der Ring kommt Stück für Stück: Ende des Monats sind die Markierungsarbeiten für die neue Verkehrsführung abgeschlossen.
Dezember 2013: Die Grünen überreichen dem Bürgermeister eine Petition mit 1339 Unterschriften und fordern den sofortigen Rückbau des Rings. Auch aus Sicht der SPD ist das Projekt gescheitert.
Januar 2014: Nachbesserungen nach drei Monaten Testphase - die Verkehrsführung soll sicherer werden: Tempo 30, mehr Parkplätze, Verkehrsspiegel.
April 2014: Der Grünen-Antrag auf sofortigen Rückbau, der von der SPD unterstützt wird, wird mit 18 Stimmen von CDU, Liste Streit, FBL und FDP abgeschmettert.
August 2014: Vorstoß aus Trier: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) startet eine Umfrage zum Bitburger Verkehrskonzept. Die ergibt: Zwei Drittel sind gegen den Ring.
September 2014: Mit knapper Mehrheit entscheidet der Stadtrat, dass der Ring noch ein weiteres halbes Jahr bleiben soll.
Oktober 2014: Polizei und LBM mahnen: weniger Unfälle oder Schluss mit dem Ring.
Dezember 2014: Bei einer Grünen-Veranstaltung mit 150 Teilnehmern fordern Ring-Gegner einen Bürgerentscheid. Den einzuleiten, beschließt die SPD kurz danach auf der Jahreshauptversammlung. eib

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