Stadtkyll schafft den Spagat

JÜNKERATH. Rheinland-Pfalz oder doch besser Nordrhein-Westfalen? Kreis Daun oder lieber Kreis Bitburg-Prüm? Verwaltungssitz Stadtkyll oder Jünkerath? Das war 1970 die Frage für viele Bürger an der Oberen Kyll, obwohl sie letztendlich fast kein Mitspracherecht hatten. Was ist nach 34 Jahren daraus geworden?

Dass Walter Bohnen aus Stadtkyll in Rheinland-Pfalz wohnt, ist fast so zufällig, wie die Zusatzzahl im Lotto. Er kann nichts dafür, dass er seit 1948 im "Retortenbaby Rheinland-Pfalz", wie es damals genannt wurde, lebt. Und das, obwohl der heutige nördliche Teil des Landes ursprünglich zur Rheinprovinz gehörte und seit jeher stark nach Köln und Düsseldorf orientiert ist. Dem Nachbarn drei Kilometer weiter in Dahlem ist es damals ähnlich ergangen. Die "Verordnung Nr. 46" der britischen Besatzungsmacht zementierte die Zwangsehe zwischen dem Rheinland und Westfalen. Und so wurde er eben zum "Nordrhein-Westfalen". Ebenso widerfuhr es den Bürgern der heutigen Oberen Kyll im Jahr 1970 bei der Gebietssreform, als die Amtsverwaltungen Lissendorf in Birgel und Stadtkyll zur Verbandsgemeinde Obere Kyll vereint wurden und zur politisch gewollten Bestandssicherung des kleinen Kreises Daun beitrugen.Meinungen gehen auch heute noch auseinander

Was kann das eigentlich zusammenwachsen, was gehört zusammen? Bei dieser Frage driften auch 34 Jahre nach der Gebietsreform die Meinungen auseinander, wenn es um die Kreiszugehörigkeit geht, je nachdem wo an der Oberen Kyll diese Frage gestellt wird. Einig scheint man sich zu sein - unabhängig ob man in Hallschlag oder Stadtkyll beziehungsweise auf der anderen Seite in Jünkerath oder Birgel wohnt, dass die Gebietsreform von 1970 positiv zu bewerten ist. Peter Linden, langjähriger Bürgermeister von Stadtkyll, kann der Bildung der Verbandsgemeinde Obere Kyll im Jahre 1970 aus heutiger Sicht viel Positives abgewinnen, aber was die Zugehörigkeit zum Kreis Daun oder besser gesagt dessen Existenz anbelangt, hat er seine eigene Meinung: "Ich bin immer noch der Ansicht, dass der Landkreis Daun ein Fehlgebilde ist.""Besser entwickelt, als am Anfang vermutet"

Sein ehemaliger Kollege Friedrich Schmidt aus Gönnersdorf (ehemalige Amtsverwaltung Lissendorf), 25 Jahre Bürgermeister seiner Gemeinde, schlägt in die gleiche Kerbe, wenn es um die neue Verbandsgemeinde geht: "Es hat sich besser entwickelt, als die Anfangsjahre es vermuten ließen." In der Nord-Süd-Ausrichtung der Oberen-Kyll-Region bestimmt die Landesgrenze, wer Nordrhein-Westfale und wer Rheinland-Pfälzer ist. Dennoch arbeitet man sehr eng zusammen. Über einen Zweckverband beziehungsweise eine Vereinssatzung wurde - ohne "Staatsverträge" abschließen zu müssen - einiges bewirkt. So stellt sich die beliebte "Tourismusregion Obere Kyll" ohnehin grenzüberschreitend dar. Die Gemeinden der Verbandsgemeinde Obere Kyll haben sich mit der Großgemeinde Dahlem-Schmidtheim in NRW zum Feriengebiet Oberes Kylltal in einem Verein zusammen geschlossen. In Stadtkyll unterhält dieser Verein ein Tourismusbüro. Für Dahlems Bürgermeister Reinhold Müller ist in Zeiten der Globalisierung "der Kirchturm sicherlich eine tolle Sache und ein schönes Bauwerk, aber die Politik, die man darum macht, nicht unbedingt Ziel führend". Für ihn war die damalige Entscheidung für eine Zusammenarbeit "zukunftsweisend". Für den Zweckverband "Kronenburger See" sieht er das ebenso. "Da haben wir nie Probleme gehabt und menschlich schon überhaupt nicht." Übrigens, was den sich durch die Obere Kyll ziehenden "Alaaf-Helau-Äquator" der Rheinländer beziehungsweise Moselfranken anbetrifft, schaffen die Stadtkyller den Spagat. Sie treten keinem auf die Füße. Weder "Alaaf" noch "Helau" heißt es dort in der fünften Jahreszeit, sondern: "Stadtkyll dajjöh!"

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