Strohbär geht wieder um

MÖTSCH. Rund um die Fastnacht gibt es die skurrilsten Bräuche. Einen davon findet man in Mötsch. Hier basteln die Jungen der neunten Schulklassen jedes Jahr einen Bären aus Stroh. Einer schlüpft in das sperrige Kostüm, um Geld bei der Dorfbevölkerung zu sammeln.

"Schon ein bisschen warm hier drin", japst der 15-jährige Marco Wallenborn. Er ist heute der Erste, der in das 20 Kilo schwere Strohbär-Kostüm schlüpfen muss. Seine beiden Freunde, Patrick Knauf und Patrick Breundel, helfen ihm dabei, in die Beine, den riesigen Rumpf und die Arme des tonnenartigen Gebildes zu steigen und alles mit Gurten am Körper festzuzurren. Die Körperteile des Bären bestehen aus Strohwülsten, die mit Draht umwickelt und aneinander befestigt sind. Als ihm noch der zylinderförmige "Kopf" aufgesetzt wird, schwankt Marco kurz. "Ich seh nichts", tönt es dumpf darunter hervor. Patrick Breundel dreht den Strohkopf ein wenig, so dass Marco durch die beiden "Augen" gucken kann, die aus Klopapierrollen bestehen. Jetzt ist er bereit für seinen Lauf durch das Dorf - als Mötscher "Strohbär". Ein wenig sieht er aus wie die Strohversion des Michelin-Männchens. Die beiden Patricks sind ebenfalls gewappnet: Einer trägt eine Trommel, die er kräftig rührt, der andere zieht den Leiterwagen mit Marcos Jacke und einem Feuerlöscher ("Man weiß ja nie, ob nicht jemand auf dumme Gedanken kommt!") und scheppert mit der Sammelbüchse. An jeder Tür wird geklingelt. "Wir sammeln für den Strohbär", ist Patrick Knaufs Spruch, und die meisten Mötscher wissen gleich Bescheid, lachen, loben den gelungenen Bären und stecken Geld in Patricks Sammelbüchse, während die Kinder neugierig hinter Mamas Beinen hervorspitzen, um einen Blick auf den unheimlichen Gesellen aus Stroh zu erhaschen. Nur an wenigen Türen, meist der neueren Häuser, kommt die Frage: "Was ist das eigentlich, der Strohbär?"Früher war die Bärenrolle Strafe für schlechte Schüler

"Wir wissen von drei Bedeutungen", erklärt Ortsvorsteher Heinz Franke. "Wie immer beim Karneval soll der Winter vertrieben werden. Der Strohbär soll aber auch die Freizügigkeiten des Karnevals beenden. Und drittens ist denkbar, dass er als Dank dafür gebaut wird, dass es in der langen Heizperiode im Winter nicht gebrannt hat." Auch die Wurzeln dieses Brauchs seien nicht eindeutig auszumachen. "Sie liegen irgendwo im 19. Jahrhundert", schätzt Franke. Seit damals haben jedes Jahr die Jungen der Abschlussklassen den Bären gebaut - bis zur Auflösung der Gemeinde 1969 gab noch eine eigene Mötscher Schule. Heute machen das eben die Mötscher Jungen, die theoretisch in der Abschlussklasse, praktisch der neunten Klasse sind, egal, ob sie auf die Hauptschule, die Realschule oder das Gymnasium gehen. "Früher steckte im Bären der schlechteste Schüler. Das war nicht sehr angenehm, schließlich wird er durch den ganzen Ort gezerrt, früher sogar in Ketten oder an einem Strick", sagt Franke lachend. Das ist heute aber nicht mehr so, und auch an einem Strick wird Marco nicht geführt. Langsam wackelt er hinter seinen beiden Kollegen her. "Geht's?", ruft Patrick. "Ja, bis zur nächsten Straßenecke schaff ich's noch", keucht Marco. Er ist schon über eine Stunde in dem Kostüm unterwegs. "Hier, nehmt euch Kamellen!", bietet eine fürsorgliche ältere Dame den Jungs Süßigkeiten an, nachdem sie Geld in die Büchse gesteckt hat. "Schön habt ihr den Bären gemacht!", lobt sie. Das Wissen um das Aussehen des Bären wird von Jahr zu Jahr von den Älteren an die Jüngeren weitergegeben. Manche Jahre gab es keinen Strohbären, manchmal ganz prachtvolle. "Wir hatten ein Foto und noch einen übrig gebliebenen Arm vom letzten Bären", erzählt Patrick Knauf. Nach diesem Vorbild wickelten die drei dann die Strohwürste und setzten sie zusammen. Mehr als eine Woche lang waren sie fast jeden Tag beschäftigt. "Wir haben schon einige Nerven in der Garage gelassen, wenn mal wieder eine Strohwurst nicht hielt oder der Draht ausging. Das Stroh ist ja auch so kurz, weil es im Sommer so heiß war", erklärt Patrick Breundel. Immerhin: Die Jungs bekamen es umsonst vom Bauern. Den Draht mussten sie kaufen. "Dafür sammeln wir ja jetzt auch, denn der Draht war ziemlich teuer", sagt Patrick Knauf. Die Straßenecke ist erreicht, und unter dem Strohdeckel kommt der erhitzte Kopf von Marco zum Vorschein. "Jetzt wurde es doch ein bisschen schwer", sagt er sichtlich erleichtert, während Patrick Knauf sich die einzelnen Teile überzieht. Einige Strohhalme fallen zu Boden. Doch der Bär muss heute noch etliche Male von Tür zu Tür tappen.

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