"Thank you very much, dear Billy"

STEFFELN. Im Februar und März 1945 rückten die Amerikaner in der Eifel vor. Zeitzeugen erinnern sich im Trierischen Volksfreund an das Kriegsende und die Zeit danach. Bei Maria Agnes Pinn aus Steffeln hinterließ besonders ein Stück Schokolade nachhaltig Eindruck.

Nach wochenlangem Ari-Beschuss unseres Dorfes rückten die Amerikaner am 6. März 1945 in Steffeln ein. Mit viel Krach kurvten die Panzer durch hohen Schlamm auf den Straßen. Mein Freund Ernst blieb mit seinen genagelten Schuhen darin stecken und ergriff barfuß mit mir die Flucht ins Haus. Die Angst stand uns im Gesicht, doch die Eltern beruhigten uns, der Spuk wäre sicher bald vorbei. Dann bekamen wir noch zusätzlich Einquartierung. Das untere Dorf musste die Bewohner des oberen Dorfes aufnehmen. So kamen sieben Familien zum Schlafen und Wohnen in unser Haus. Es wurde sehr eng! Doch irgendwie wirkten alle gelöst, als ob etwas Neues oder gar Gutes auf uns zukäme. Schon bald traf dies ein. Abends, wir saßen mit fünfzehn Leuten in der Küche und beredeten gerade den denkwürdigen Tag, da klopfte es an der Haustür. Vater öffnete, und ein amerikanischer Soldat trat zögernd ein. Seine Rede wurde von unserem jungen Bekannten übersetzt. So hörten wir, der Amerikaner käme als Freund und wolle sich mit uns unterhalten. Er ginge nun zurück ins Depot und käme wieder mit Gaben für uns. Nach kurzer Zeit klopfte es dreimal, und unser Freund stand da, hatte alle Taschen seines Kampfanzuges voll mit Zigaretten, Kaffee und Schokolade. Letztere war mir damals als Sechsjährige völlig unbekannt. Alle Augen leuchteten plötzlich froh im Widerschein unserer spärlichen Petroleumlampe. Der Amerikaner hatte eine große Stablampe, die viel mehr Licht spendete als unsere armselige Fuselleuchte. Auf Mutters Schoß sitzend, traf mich der helle Lichtkegel mitten ins Gesicht. Der Soldat lachte herzlich, nahm eine Tafel Schokolade, brach ein großes Stück ab, sagte: "for you" und reichte es mir. Artig kam mein "Dankeschön". Er nahm mich von Mutters Schoß auf sein Knie, strich mir über den Kopf, und meine ohnehin schon roten Wangen leuchteten wie Äpfel im Herbst. Die Brücke war geschlagen. Die Männer bekamen Zigaretten, Frauen und Kinder Kaffee und Schokolade. Von unserem Dolmetscher hörten wir, dass unser Freund in den Staaten Frau und Kinder habe - auch ein Töchterchen in meinem Alter. So wurde ich des Amerikaners liebstes Kind. Als meine Schnupfnase zu laufen anfing, nahm er ganz selbstverständlich sein grünes, ziemlich gebrauchtes Taschentuch und putzte meine Nase damit. Genauso wie Vater. Bis zum Truppenabzug blieben wir Freunde. Den denkwürdigen 6. März werde ich nie vergessen. Ein Soldat der so genannten feindlichen Nation entfernte sich trotz Verbots von seiner Truppe und besuchte unsere Familien aus einem menschlichen Gefühl der Liebe und des Helfens heraus. Er versorgte uns mit Kleidung, Schuhen, Lebensmitteln und genoss dafür bei uns in den Wochen familiäre Atmosphäre. Danken möchte ich diesem Amerikaner, einem Menschen mit Herz. Sein Name war Billy. Den Familiennamen erfuhren wir nie. Doch seine freundlichen Blicke verstanden alle sofort. Ganz besonders ein Kind, das von ihm sein erstes Stück Schokolade im Leben geschenkt bekam. Thank you very much, dear Billy! Der Text stammt von Maria-Agnes Pinn aus Steffeln. Sie ist Jahrgang 1938 und seit 1961 mit Johannes Pint verheiratet. Drei Söhne und zwölf Enkelkinder erfreuen das Paar. Bis heute bewirtschaften beide ihre kleine Landwirtschaft , backen noch selbst Brot und drehen Butter . Außerdem schreibt Maria-Agnes Pinn Geschichten und Gedichte über die Eifel. WEITERE ZEITZEUGEN: S. 8

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort