Tradition gerettet

Traditionell blau-grau, salzglasiert und akut vom Aussterben bedroht… Das Speicherer Töpferhandwerk war nach der Insolvenz der Firma Plewa in eine tiefe Krise geraten. Nun schickt sich eine einzelne Frau an, ihm einen Weg in die Zukunft zu weisen. Annika Becker, ehemalige Plewa-Mitarbeiterin, macht sich selbstständig. In ihrer Töpferwerkstatt entstehen nun wieder Waren, die eine rund 2000-jährige Tradition am Leben erhalten.

Speicher. Wer je im Speicherer Wald in eine Pfütze getreten ist, weiß wie der Stoff aussieht, dem der Ort seine rund 2000-jährige Tradition zu verdanken hat: weiß, schwer und sehr klebrig. Es handelt sich um Ton, und zwar einen besonders guten. Schon die Römer haben ihn ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus bei Speicher abgebaut, um daraus elegante Gefäße zu formen.

Im Mittelalter und in der Neuzeit setzte sich diese Töpfer-Tradition fort. Fast jeder Eifeler dürfte die seit Ende des 17. Jahrhunderts typischen, blau-grauen Gefäße aus Speicher kennen, die einer Salzglasur ihre besonders hohe Robustheit verdanken.

Auch heute dreht sich die Töpferscheibe noch - vielmehr sie dreht sich wieder. Denn nach der Insolvenz der Firma Plewa, die die Tradition aufrechterhalten hatte, war ungewiss, wie und ob es überhaupt damit weitergehen würde: Annika Becker, die einzige Töpferin des Betriebs - die einzige des ganzen Töpferortes - war entlassen worden.

Inzwischen steht fest, dass die Tradition eine Zukunft hat: Denn Becker hat sich vor wenigen Tagen selbstständig gemacht. Eine Tatsache, über die sich auch Verbandsgemeinde-Bürgermeister Rudolf Becker sehr freut. Der Name Speicher sei seit jeher eng mit dem Töpferhandwerk verbunden, sagt er. Die Tradition müsse fortgeführt werden. Unterstützt von der Familie Plein, den Erben des Plewa-Firmengründers Jacob Plein-Wagner, arbeitet die Töpferin in der geräumigen Werkstatt des Plewa-Gebäudes. In hohen Regalen stapeln sich ungebrannte Schüsseln, Töpfe, Teller, Schalen, Krüge… kunstvoll bemalt mit blau-braunen Mustern. Alles Handarbeit, auf einer Töpferscheibe entstanden, von Beckers Händen geformt. Die Töpferscheibe surrt. Die Töpferin hält einen Tonklumpen umfasst, zentriert ihn auf der Scheibe, formt den Boden, so dass ein Gefäß entsteht, das aussieht wie ein Futternapf und dann geht es plötzlich ganz schnell. Unter ihren Händen verwandelt sich der flache Napf innerhalb von Sekunden in eine hohe bauchige Vase. Das Töpfern selbst dauere oft nur wenige Minuten, sagt sie. Weitaus aufwendiger sei es, die Gefäße zu bemalen.

Im letzten Schritt werden sie dann gebrannt. Der Ofen wird angefeuert, bis er nach etwa zwei Tagen eine Temperatur von 1180 Grad erreicht hat. Dann gibt Annika Becker über vier Trichter grobkörniges Salz hinzu. Das Salz verdampft und hinterlässt auf ihren Gefäßen die typische Glasur - seit ihrer Erfindung beliebt, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen Glasuren völlig dicht ist. So nahmen die Bauern früher in salzglasierten Krügen Viez mit aufs Feld, ihre Frauen entrahmten in sogenannten "Satten" Milch oder machten in großen Töpfen Sauerkraut ein. Und wer möchte, kann Ähnliches auch heute noch tun, denn gleich neben der Werkstatt liegt das Geschäft, in dem die frisch gebackene Selbstständige ihre größtenteils grau-blaue Handarbeit verkauft.

Doch nicht alles dort hat diese Farbe. Manches ist auch braun, terracottafarben oder "geflammt" - Gefäße, die Beckers Handwerk noch enger mit der Speicherer Tradition verknüpfen: Es handelt sich um Repliken. Originalgetreue Nachbildungen von mittelalterlichen Feldflaschen, römischen Honigtöpfen oder Räucherkelchen, wie sie in der Nähe Speichers gefunden worden sind. Entstanden sind sie in enger Zusammenarbeit mit einem Archäologen, so dass an jedem der Gefäße ein Zertifikat baumelt, das über sein archäologisches Vorbild Auskunft gibt. Wer Spaß daran hat, auch diese Vorbilder zu sehen, kann dies gleich nebenan im Keramikmuseum tun. Es zeigt getöpferte Funde aus der Umgebung Speichers von der Römer- bis zur Neuzeit.

Das Museum ist wie das Geschäft im Merscheiderweg 1. Auch die Öffnungszeiten sind identisch: dienstags bis freitags von 10 bis 16 Uhr und samstags von 10 bis 14 Uhr. Info: Telefon 06562/974999.

Meinung

Es geht um ein Stück Heimat

Tradition ist immer auch ein Stück Heimat. Wenn sie stirbt, dann geht weit mehr verloren als nur ein Brauch. Deshalb ist es sehr schön, dass jemand das Erbe des Töpferortes Speicher fortführen möchte. Schön um der Tradition willen. Schön aber auch des Resultats wegen. Denn die typisch blau-graue Speicherer Keramik zu bekommen, dürfte sich sonst schwierig gestalten - von originalgetreuen Repliken gar nicht zu reden. Nicht nur für die Einheimischen sind diese Waren identitätsstiftend. Auch für Touristen oder hier stationierte Amerikaner können sie ein Stück Eifel symbolisieren. Ein Stück Eifel, das sich hoffentlich an den Mann bringen lässt. k.hammermann@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort