Und alle zerbrechen sich die Köpfe

Neue Zahlen und erste Konsequenzen im Unterschlagungsfall an der Oberen Kyll: Bei der außerordentlichen Sitzung des Verbandsgemeinderats in Jünkerath beschlossen die Fraktionen am Dienstag, neutrale Prüfberater einzuschalten.

Jünkerath. Petra Sonntag gibt sich alle Mühe: Die Stellvertreterin des Mitte Mai verhafteten und geständigen Finanzverwalters der VG Obere Kyll versucht nach Kräften, den mehr als 100 Bürgern im überfüllten Feuerwehrhaus zu erklären, wie ihr bisheriger Vorgesetzter so viel Geld unbemerkt aus der kommunalen Kasse abzweigen konnte.Aber das Gegrummel auf den hinteren Bänken und Flur-Stehplätzen macht schnell deutlich: So richtig verstanden hat die Vorgänge kaum jemand. Kein Wunder, räumt Sonntag später ein: Man lerne den Beruf nicht umsonst drei Jahre lang - "und dann scheitern trotzdem noch viele daran." So viel Geld: Laut aktuellem Stand der Ermittlungen, berichtet Bürgermeister Werner Arenz (CDU), habe der Kämmerer erstaunliche 2 366 735, 06 Euro veruntreut. Hauptgeschädigter: die VG, mit knapp 1,3 Millionen Euro. Auf den bedauerlichen Plätzen folgen die drei größten - und ohnehin bereits meistverschuldeten - Ortsgemeinden: Lissendorf (564 854 Euro), Stadtkyll (446 756 Euro), Jünkerath (76 693 Euro).Bei diesen Zahlen lässt Arenz dann auch seine laut Parteibuch christliche Einstellung fahren: "Es kam anfangs so rüber, als ob wir hier einen bedauernswerten Täter hätten. Das sehe ich anders. Wir haben einen ganz schlimmen Verbrecher. Er hat Vertrauen missbraucht und die Gefühle seiner Mitarbeiter verletzt, um sich ein schönes Leben zu machen. Da ist für Mitleid relativ wenig Platz."200 000 Euro auf ersten Blick nicht aufgefallen

Der Kämmerer habe inzwischen ein notarielles Schuld-Anerkenntnis über die gesamte Schadenssumme abgegeben, sagt Arenz. "Dadurch haben wir sofort einen vollstreckbaren Titel." Und keiner hat etwas gemerkt? Immerhin, sagt Petra Sonntag, habe die VG allein im Jahr 2006 Geldströme von rund 88 Millionen Euro verzeichnet. Bei dieser Größenordnung könne eine clever verschobene Summe von jährlich knapp 200 000 Euro "auf den ersten Blick nicht auffallen". Aber vielleicht auf den zweiten? Während sich nahezu alle Ratsmitglieder darüber einig sind, dass niemand dem Täter habe auf die Spur kommen können (allgemeiner Konsens: wenn, dann höchstens das Gemeinde-Prüfungsamt der Kreisverwaltung), hält der Stadtkyller FWG-Vertreter Walter Pickartz dagegen. Er nennt drei Auffälligkeiten, die er aus einem vergleichbaren Fall kennt und die auch hier zutreffen. "Erstens: Er hatte alles unter Verschluss. Zweitens das Chaos um den Tisch und in den Schränken." Und drittens: "Jeder Betrüger macht immer nur einen Tag Urlaub." Denn bei längerer Abwesenheit steige das Risiko, dass ein Kollege im Büro oder auf dem Rechner des Betreffenden Verdächtiges finde.Und das, sagt Pickartz, hätte bemerkt werden müssen. Von wem - und welche Fehler möglicherweise darüber hinaus begangen wurden, das sollen nun unabhängige Prüfer ermitteln: Die Fraktionen stellten einen gemeinsamen Antrag mit dem Ziel, neutrale Experten ins Boot zu holen. Diese sind auch bereits gefunden: Bei der "GeKom", einem Beratungs-Unternehmen des Gemeinde- und Städtebunds. "Die können am Dienstag anfangen", sagt Werner Arenz. Darüber hinaus weist er den Vorwurf zurück, zu viel Vertrauen in seinen Kämmerer gesetzt und dessen Berlin-Ausflüge zu wenig hinterfragt zu haben: "Wenn ich Ihnen vor drei Wochen die Frage gestellt hätte, ob man ihm vertrauen kann - ich hätte die Antwort gekannt. Wir wussten natürlich, dass er öfter nach Berlin fuhr. Aber das tun andere auch und mit seinem Einkommen konnte er sich das leisten."

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