Unsere kleine Stadt in Flammen

Gerade elf Jahre war ich alt geworden, damals im Dezember 1944, und ich zählte die Tage bis Weihnachten. Die frohe Erwartung wurde aber getrübt durch die ernsten Gesichter der Eltern und deren Bemerkungen, Weihnachten werde dieses Jahr wohl anders werden. Wie recht sie hatten, obwohl sie an einen solchen Horror wohl nicht gedacht hatten. Am Nachmittag des Heiligen Abends brach ein gewaltiger Feuersturm auf unsere kleine Stadt Gerolstein herein. In nur wenigen Minuten war der ganze Ortskern zerstört. Besonders hatte es die Schule getroffen, in der ein Lazarett untergebracht war. Dort waren junge Rotkreuz-Schwestern gerade dabei, für die verwundeten Soldaten eine kleine Weihnachtsfeier zu gestalten. Viele von ihnen fanden in der Schule den Tod. Beim Gang zur Christmette sahen wir das Ausmaß der Zerstörung. Wir bahnten uns einen Weg durch die Bombentrichter, vorbei an noch glühenden Dachstühlen und Mauerresten. Zornig war ich, aber vor allem hatte ich panische Angst vor den Fliegern. Meinen kleinen Rucksack mit Notgepäck und der Lieblingspuppe setzte ich nicht mehr ab. Am ersten Feiertag folgte ein schwerer Angriff, der aber überwiegend freies Gelände traf. Am zweiten Feiertag gingen wir zum Schutz in einen nahe gelegenen Westwallbunker. Bei strahlend blauem Himmel und klirrender Kälte machten wir uns auf den Weg, in ständiger Angst vor plötzlich auftauchenden Tieffliegern. Die schossen auf alles, was sich bewegte und in dem Schnee gut zu sehen war. Im Bunker drängten sich die Menschen. Wir Kinder wurden auf die oberste Etage der Feldbetten verfrachtet, wo wir mit dem Kondenswasser kämpften, das von der Decke tropfte. Aber alle waren um gute Stimmung bemüht, es wurde sogar gesungen. Ein Lied machte besonderen Eindruck auf mich: "Ja, ja der Chianti-Wein, der lädt uns alle ein, wir wollen glücklich sein und uns des Lebens freu'n..." Gottlob suchten wir am nächsten Tag wieder den Bunker auf, denn da traf es unsere Straße endgültig. Es blieb sozusagen kein Stein auf dem anderen. Auf einen Handwagen luden wir wenige gerettete Habseligkeiten, obenauf unseren kleinen Hund, der den Angriff unter dem Küchenherd überlebt hatte, grau vor Staub und taub vom Lärm. So machten wir uns auf zum Nachbarort, wo wir bei guten Menschen eine Unterkunft fanden. STV-Leserin Anneliese Pecht ist heute 71 Jahre und lebt noch immer in Gerolstein.

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