Von der Sehnsucht nach Weihnachten

In der Zeit, da alles golden glitzert und die Konsummaschine brummt, mag sich wohl so mancher fragen: Ja, ist denn das wirklich Weihnachten? Und wenn nicht das, dann was? Unsere Reporterin hat sich auf die Suche nach einer Antwort gemacht.

Bitburg. Schlittenglöckchen, Chöre, Orgeln, klingelingeling - schon seit Wochen schreit es uns entgegen, lauert jedem von uns auf: Kauf, Mensch, kauf! Rot und grün und goldbelackt. Lametta, Bäume, dicke Putten. Niemand könnte ihm entgehen. Am allerwenigsten jedoch die Menschen, die in ihren Weihnachtsbuden stehen. Seit vier Wochen hören sie die gleichen CDs. Rauf und runter, immer wieder. "O Lord it's christmas!" Die Armen, das muss doch mürbe machen! Ob sie sich noch auf Weihnachten freuen?

Er sei Schausteller und höre so etwas gar nicht mehr, sagt Hubert Gehlen, der auf dem Bitburger Weihnachtsmarkt Glühwein verkauft - "Da musst du abschalten, sonst wirst du ja verrückt." Er sei aber sicher, dass viele seiner Kollegen an Weihnachten keine Lust mehr auf Weihnachtslieder hätten. Und er, ob er sich freue? "Der Konsum und das Ganze geht mir dermaßen auf den Keks", sagt er. Auf die Zeit mit seiner Familie, deren Mitglieder außer ihm allesamt große Weihnachtsfans seien, freue er sich dann doch. Die Ruhe…

Ja, die Ruhe. Die ist seit Wochen ziemlich rar. Einzig die Liebfrauenkirche versperrt sich dem Rummel. In ihrer dunklen Weite duftet es nach Wachs und Tannengrün. An den Bäumen hängen statt grellbunter Kugeln schlichte Sterne aus Stroh. Aus jenem Material also, auf das unsere Vorstellung auch das Christuskindchen gerne bettet. Geboren an Heiligabend in einem einfachen Stall, angewiesen auf die Hilfe und die Freigebigkeit anderer.

So wie noch heute viele Menschen. "Weihnachten ist das schönste Fest, das es gibt", sagt Mariya Klassen, geborene Bulgarin und überzeugte Bitburgerin - weil die Menschen dann plötzlich geben könnten. An andere denken. Spenden und schenken. Traurig nur, dass dies bloß einmal im Jahr geschehe, sagt sie. Ihrer Markthütte gegenüber kniete neben dem Eingang eines Drogeriemarktes eben noch eine Bettlerin. Nun ist sie weg.

Nur wohin? Ach da. Da sitzt sie auf der Bank und reibt sich die wehen Knie. Eine hübsche junge Frau mit offenem Lächeln. Wie Weihnachten wohl für sie ist? Ob sie sich darauf freut? Ob die Menschen ihr tatsächlich bereitwilliger einen Euro geben oder zwei? Doch diese Fragen versteht sie nicht. Auch nicht auf Englisch. Sie ist Slowenin. Lächelt, zieht ein zerknittertes Babyfoto aus ihrer Tasche und nimmt zum Dank nickend einen Euro entgegen. Ein anderes Baby wird derweil im Kinderwagen durch Bitburg geschoben. Seine Mutter Petra Baatz und seine beiden Schwestern Julia und Lena freuen sich schon sehr aufs Fest. "Dann ist alles so gemütlich, die ganzen Lichter", sagt eines der Mädchen - und ein bisschen natürlich auch die Geschenke. Ihre Mutter freut sich auf das Leuchten der Kinderaugen und auf den gemeinsamen Kirchbesuch. "Weihnachten ist immer etwas Besonderes", sagt sie.

Auch ein Mann aus Beilingen, der vor der Parfümerie auf seine Frau wartet, freut sich. Weihnachten sei ein Familienfest. Da sehe er endlich seine in ganz Deutschland verstreut lebenden Geschwister wieder - in aller Ruhe.

Süß und fruchtig- das liegt im Trend



Drinnen ist derweil die Hölle los. Mindestens ein Dutzend Menschen steht an der Kasse und sieht dabei zu, wie ein Flacon nach dem Nächsten in schillerndem Geschenkpapier verschwindet. Darunter viele Männer, die ihre Frauen beglücken wollen. Süß und fruchtig liege im Trend, sagt eine der Verkäuferinnen. Auch sie freut sich aufs Fest - wenn's nur vorher nicht alles so stressig wäre…

Stressig, wo sie sich doch nach Ruhe sehnt. Wie so viele andere Menschen. Nach Gemütlichkeit. Miteinander. Ein, zwei schönen Stunden in der Kirche vielleicht. Danach, etwas zu verschenken. Gesang, Kerzenduft und Lichterschein, nach gutem Essen, Frieden, Familie und Geborgenheit. Nach Liebe. Nach Weihnachten. Und so ist dieses Fest doch viel mehr als sein funkelnder Schein. Eine gewaltige Sehnsucht.

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