Vor den Amerikanern kaum Angst gehabt

SÜLM/LOOGH. (red) Kriegsende vor 60 Jahren: Erneut erinnern sich Zeitzeugen in der TV-Reihe an ihre Erlebnisse im Frühjahr 1945 in der Eifel.

Nachdem auch in Nähe unseres Hauses Granateinschläge erfolgten und dabei einige Fensterscheiben zu Bruch gingen, verlegten wir unseren Wohnbereich in den gewölbten massiven Hauskeller. Im Kartoffelkeller wurde der gemeinsame Schlafraum für unseren Acht-Personen-Haushalt eingerichtet (Großeltern, Großonkel, Mutter, drei Kinder und Serbe Peter). Die Küche entstand im Backes und der Wohnraum mit Ofen im mittleren Teil des Kellers. Um die noch intakten Fensterscheiben des Hauses zu retten, brachten wir die Fensterflügel in den vierten Kellerraum, in dem auch die Kartoffeln, Runkelrüben und andere Lebensmittel lagerten. Als Lichtquelle dienten Kerzen, Karbid- oder Schmalzlampe. Einen kleinen Kellerbereich hatten wir als Versteck abgemauert. Hier wurden etwas Weizen und Kartoffeln sowie wichtige Bücher und schriftstellerische Arbeiten unseres Vaters, der an der Front war, aufbewahrt, um sie vor dem Kriegsgeschehen zu retten. Vor die Kellerfenster und den Kellereingang stellten wir dicke Holzbalken als Schutz gegen Granatsplitter. So lebten wir drei Wochen lang im Keller mit Granateinschlägen der Alliierten, Abschüssen der deutschen Wehrmacht, Angriffen der Jabos und anderem Kriegsgeschehen mehr, bis sich beim weiteren Annähern der Front das deutsche Militär gänzlich über die Kyll zurückzog und dabei alle Brücken, wie die an der Moltkeburg, dem Speicherer Bahnhof und an der Loskyller Mühle sprengte. Am 28. Februar kamen dann die Amerikaner aus Richtung Scharfbillig auf Sülm zu. Zunächst waren es Infanteristen, die von Baum zu Baum vorrückten und immer wieder Deckung suchten. Wir beobachteten dieses Ankommen draußen vor unserem Haus, dem ersten im Dorf und hissten - unter Mithilfe unseres Serben Peter - eine weiße Fahne, das heißt, ein an einer Stange befestigtes Betttuch. Eigentlich hatten wir vor den amerikanischen Soldaten keine große Angst, da auch unser Vater in seinen Feldpostbriefen die Amerikaner als humane Menschen beschrieben hatte. Nachdem unser Haus erreicht war und wir auf Befragen bestätigt hatten, dass sich hier keine deutschen Soldaten befänden, musste ich vor einem schussbereit bewaffneten amerikanischen Soldaten durchs ganze Haus und den Keller gehen. Ein anderer amerikanischer Schwarzer fand in unserem Keller eine Flasche mit Schnaps. Bevor er sie jedoch mitnahm, musste unser Großvater zum Fest einen Schluck davon trinken. Inzwischen trafen mit großem Getöse schwere Panzer, Panzerspähwagen, Jeeps und viel Militär ein. Unser Kriegsgefangener Serbe meldete sich gleich bei den Alliierten und wurde von diesen zurück hinter die Front in Sicherheit gebracht. Anderntags kam er wieder, um seine restlichen Kleidungsstücke und sonstige persönliche Sachen abzuholen und verabschiedete sich von uns. Sein Weggehen bedauerten wir sehr, da er ein lieber und fleißiger junger Mann war. Wir mussten bald unser Haus verlassen und kamen zunächst beim übernächsten Nachbarn Grölinger, dann bei Streit und weiter bei Daleiden unter.Schnaps getrunken Radio mitgenommen

Die Amerikaner besetzten unser Haus vollständig, warfen Möbel und Hausrat nach draußen auf den Hof sowie in das Keller-Treppenhaus und den Abstellraum. Natürlich ging dabei einiges zu Bruch. Ein unter unserem Runkelrübenhaufen im Keller verstecktes Eichenfässchen, gefüllt mit Branntwein, blieb ihnen nicht verborgen und wurde natürlich von ihnen mitgenommen. Auch unseren versteckten Raum hatten sie aufgespürt und ein Stück Mauer davon abgebrochen. Jedoch schien nicht viel Interessantes für sie darin zu sein. Unseren Blaupunkt-Radioapparat hatten die amerikanischen Soldaten mitgenommen, so dass wir lange Zeit ohne Radio sein mussten. Wegen der anstehenden schwierigen Überquerung des bewaldeten Kylltales richteten sich die Amis zunächst in Sülm ein. Alle Einwohner der Häuser 1 bis 46, etwa zwei Drittel des Dorfes, mussten in das Hinterdorf ziehen, so dass hier in manchen Häusern und Ökonomiegebäuden bis zu 60 Personen untergebracht waren. Unsere Familie kam bei Pennings unter. Wir Kinder schliefen nachts im Kartoffelkeller auf dem Boden. Während der Evakuierung wurde unsere Mutter durch Ruhr schwer krank. Über den eingesetzten Ortsbürgermeister ist es gelungen, dass ein amerikanischer Arzt sie notdürftig behandelte und Medikamente bereitstellte; hierbei äußerte er seine große Abscheu über erlebte Gräueltaten deutscher Frontsoldaten. In halber Höhe zwischen dem Talbach und dem Dorf hatten die Amis schwere Artilleriegeschütze aufgebaut, mit denen sie ständig auf die gegenüberliegenden Kyllhöhen in den Bereich Beilingen, Speicher, Preist und Orenhofen feuerten, da sich dorthin die deutsche Front zurückgezogen hatte. Diese Granaten und weitere Angriffe der Tiefflieger richteten in diesen Dörfern große Schäden an. Wir Kinder hielten uns tagsüber oft draußen vorm Haus auf und konnten dabei das Geschehen der Artillerie, also die Abschüsse in unserer Nähe und die Detonationen jenseits der Kyll beobachten. Ab und zu schoss aber auch die deutsche Wehrmacht mit Do-Werfern herüber. Auf der Flugstrecke vom Abschuss zum Ziel verursachten diese Granaten ein schreckliches Geheul. Sowohl die Amerikaner als auch wir selbst hatten vor diesen Geschossen große Angst; alle suchten dann Deckung und warfen sich zu Boden. Zum Versorgen des Viehs, das in dem geräumten Ortsteil zurückblieb, durften je Betrieb morgens und abends zwei bis drei Personen unter Bewachung eines bewaffneten amerikanischen Soldaten je eine halbe Stunde zum Füttern und Melken in den gesperrten Dorfbereich. Dieses Los fiel auf mich als Zwölfjährigen und meine Mutter. Zum Runkelrübenholen musste ich auch in unseren Hauskeller. Hier hatten sich einige Soldaten häuslich niedergelassen und saßen beim warmen Ofen. Wie freute ich mich, wenn ich ab und zu von ihnen etwas Schokolade erhielt. Da unser Haus das erste und höchstgelegene Gebäude war und einen freien Blick über das Kylltal bis auf die Kyllhöhen bot, richteten die Amerikaner hier die Kommandostelle ein. Dies war wohl auch der Grund für die völlige Entleerung der Zimmer.53 Kriegstote im kleinen Eifeldorf

In der Nacht vom 3. zum 4. März 1945 überquerten die Amis dann die Kyll und eroberten die jenseitigen Kyllhöhen. Viele deutsche Soldaten wurden dabei gefangen genommen, in Orenhofen allein fast 300. Wenige Tage später, als die Front weiter landeinwärts vorgerückt war, durften die evakuierten Dorfbewohner wieder in ihre Häuser zurück. Wir waren alle froh, wieder daheim zu sein und das Frontgeschehen einigermaßen gut überstanden zu haben. Wie freute man sich erst, als am 8. Mai 1945 die Wehrmacht aufgab und somit der schreckliche Krieg ein Ende hatte. Der Krieg hatte von Sülm 53 Tote gefordert, davon waren 51 Männer und 2 Frauen. Der Beitrag stammt von Alois Lemling aus Sülm. Er ist in seiner Heimatgemeinde in vielfältiger Weise aktiv und kümmert sich um Heimatgeschichte. Sein Vater war der bekannte Eifeler Heimatdichter Bernhard Lemling.

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