Wege aus der Schuldenfalle

AHRWEILER. Das Haus ist noch nicht abbezahlt, das Auto in der Garage wird über Raten finanziert, der Partner hat die Scheidung eingereicht oder der Zweitverdienst ist weggebrochen: Auch im Kreis Ahrweiler gibt’s immer mehr Haushalte und Firmen, die den Schuldenberg nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen können.

Der Schuldenreport 2006 von der Verbraucherzentrale ist eindeutig: 3,13 Millionen der Privathaushalte in Deutschland sind auf absehbare Zeit nicht mehr in der Lage, aus ihrem Einkommen oder Vermögen ihre laufenden Zahlungspflichten zu erfüllen. Seit 1993 hat sich die Zahl der überschuldeten Haushalte mehr als verdoppelt. Etwa weitere 570 000 Haushalte mit aktuellen Kreditverpflichtungen stehen an der Schwelle zur Überschuldung. Die Beratung betroffener Menschen ist in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Aufgabe der Sozialarbeit geworden.Hilfe schon bei ersten Anzeichen suchen

"Die Nachfrage nach Schuldner- und Insolvenzberatungen im Kreis Ahrweiler ist so groß wie nie zuvor. Bereits im ersten Quartal dieses Jahres ist die Anzahl der Anmeldungen bereits deutlich höher als die Quartalszahlen der vergangenen Jahre", berichtet Nicole Ewald von der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werks. Sie rät dazu, sich bereits bei den ersten Anzeichen finanzieller Schwierigkeiten an eine Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle zu wenden. Gleich vier Mal im Jahr bietet das Diakonische Werk in Bad Neuenahr-Ahrweiler für Betroffene und Interessierte eine kostenlose Informationsveranstaltung zum Thema Verbraucher-Insolvenzverfahren an. "Das Interesse ist groß", betont die Diplom-Sozialarbeiterin und gelernte Bankkauffrau Nicole Ewald. Jeweils 30 bis 40 Personen nehmen an diesen Veranstaltungen teil. Statistisch gesehen bilden sich Spitzenmonate heraus, in denen Betroffene in der Geschäftsstelle in der Ahrweiler Peter-Jansen-Straße anrufen und um Hilfe bitten. "Zu Jahresbeginn und nach der Urlaubszeit im Sommer gehen bei uns die meisten Anfragen ein", erklärt Ewald. Neben finanziellen Aspekten "sind in den Gesprächen auch psychosoziale Probleme zu bewältigen". Die Beratung in Ahrweiler findet nach vorheriger Kontaktaufnahme statt. Schuldnerberatungsstellen haben mittlerweile Hochkonjunktur, der Andrang ist kaum mehr zu bewältigen. Ewald: "Die Wartezeit auf ein erstes Gespräch beträgt derzeit zirka drei bis vier Monate." Auch jüngere Menschen tappten mehr und mehr in die Schuldenfalle, zumal Ratenkäufe immer einfacher und Statussymbole wie Handys oder schicke Autos immer wichtiger erscheinen.Beratung sollte kostenlos sein

Sorgen bereiten Nicole Ewald die unseriösen Anbieter im Bereich der Schuldner- und Insolvenzberatung, die die verzweifelte Situation der Menschen gnadenlos und mit falschen Versprechungen ausnutzen: "Diese gibt es leider zunehmend. Vorsichtig sollte ein Ratsuchender in jedem Fall dann sein, wenn hohe Kosten für die Beratung von einer solchen Stelle gefordert werden. Unsere Beratung ist vertraulich und kostenlos." Die Schuldnerberatung hat die Zielsetzung, Betroffenen wieder eine Perspektive auf ein schuldenfreies Leben zu ermöglichen. Seit 1999 gibt es einen gesetzlichen Ausweg aus dem Schulden-Dschungel: das vereinfachte Insolvenzverfahren für Privatpersonen und das Regelinsolvenzverfahren für ehemalige Selbstständige. Eröffnete Insolvenz-Richter Jürgen Powolny am Amtsgericht Ahrweiler im Jahr 2002 noch 30 vereinfachte Insolvenzverfahren, so stellten 2005 bereits 73 private Schuldner den Antrag. In der Klemme stecken aber nicht nur private Haushalte. Auf hohem Niveau stagnieren in den letzten Jahren die Anträge bei den Regelinsolvenzverfahren: 2002 waren es 133 Selbstständige, die aus den roten Zahlen nicht mehr raus kamen. Nur drei Jahre später mussten bereits 160 Firmen den Weg zum Insolvenzgericht gehen. Den Schuldnern winkt die Möglichkeit der Restschuldbefreiung. In ihren Genuss kommt aber nur derjenige, der sechs Jahre lang pflichtbewusst und unter Aufsicht eines Treuhänders versucht hat, so viele Schulden wie nur möglich an die Gläubiger zurückzuzahlen. "Verhandelt wird immer freitags. In der Regel sind es dann immer weit über zehn Fälle, über die entschieden wird. Die Ursachen der Überschuldung sind häufig Misswirtschaft, Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung", erklärt Rechtspfleger Achim Rieder. Er ist neben seinem Kollegen Jens Nickel beim Amtsgericht Ahrweiler zuständig für Insolvenzen. "Bevor ein gerichtliches Verbraucherinsolvenzverfahren durchgeführt wird, muss versucht werden, ob nicht einfacher und kostengünstiger ohne Gerichtsverfahren eine Einigung mit den Gläubigern über eine Schuldenbereinigung zu erzielen ist", betont der Richter Powolny. Doch genau das ist, so Powolny, "oftmals mangels Masse nicht möglich". Erstmals ab Ende dieses Jahres wird einigen Schuldnern aus dem Kreis erfreuliche Post vom Amtsgericht ins Haus flattern: der Brief über die Schuldenbefreiung.

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