Zentimeter für Zentimeter

PRÜM/TRIER. Nachdem das Amtsgericht Bitburg Ende 2005 einen 70-jährigen Mann aus dem Raum Prüm wegen einer angeblichen Morddrohung zu 1000 Euro Geldstrafe verurteilt hatte, hat das Landgericht Trier in der Berufung die Klage aufgehoben.

Was genau gesagt wurde, wie es gemeint war und an wen die Äußerung letztendlich adressiert war, möchte der Vorsitzende Richter wissen. Vor dem Trierer Landgericht steht an diesem Vormittag ein 70-jähriger Mann aus dem Altkreis Prüm, weil in zweiter Instanz darüber entschieden werden soll, ob das, was der Rentner vor einem Jahr in einer Bitburger Pizzeria von sich gegeben hat, als ernste Morddrohung gemeint war oder nur so interpretiert wurde. Der Angeklagte und ein weiterer 69-jähriger Mann aus Bayern hatten sich dort getroffen, um sich zu unterhalten - unklar ist allerdings, worüber. Während sich der Mann aus Süddeutschland nach dessen Aussage von diesem Treffen den Kauf eines Pferdes erhoffte, soll es aus Sicht des Angeklagten bei diesem Gespräch um etwas völlig anderes gegangen sein. Demnach soll ihm der 69-Jährige mehrfach angeboten und damit geprahlt haben, sich für den Sohn des 70-Jährigen einzusetzen. Dieser saß damals in Untersuchungshaft, weil er als Buchhalter einer Eifeler Spedition insgesamt über eine Millionen Euro unterschlagen haben soll (der TV berichtete). Im Lauf der Unterhaltung sei der 70-Jährige dann laut geworden und soll, wie er selbst vor Gericht aussagt, folgendes von sich gegeben haben: "Sag deinem Bruder, ich würde ihm Millimeter für Millimeter den Hals durchschneiden. Ich will nichts dafür haben, ich mache es umsonst." Während der Angeklagte bei der Verhandlung mehrfach Wert darauf legt, dass in der von ihm nicht ernst gemeinten Äußerung von einem Sezieren in Millimeterabschnitten und nicht, wie in der Anklageschrift aufgeführt, von "Zentimeter für Zentimeter" die Rede war, ist der geduldige Richter bemüht, herauszufinden, wer denn überhaupt mit "Bruder" gemeint sei. Der Mann aus Bayern, der vom Verlauf der Unterhaltung sehr überrascht gewesen sei und dem Richter unter Tränen erzählt, "ich habe gar nicht geglaubt, dass so etwas möglich ist", habe darauf hin den Spediteur und ehemaligen Arbeitgeber des betrügerischen Buchhalters informiert, weil er gedacht habe, die Morddrohung sei ernst und mit "Bruder" eben dieser Spediteur gemeint. "Haben Sie etwas mit Scientology zu tun?"

Der Angeklagte hingegen behauptet, der Name des Spediteurs sei nie gefallen. Mit "Bruder" habe er "Glaubensbruder" gemeint in der Annahme, der 69-jährige Bayer täusche das Interesse am Pferd nur vor und sei stattdessen Mitglied der Scientology-Sekte. "Haben Sie etwas mit Scientology zu tun?", fragt der Richter den Rentner aus Süddeutschland, worauf dieser verneint und sagt, er wisse nicht einmal, was Scientology überhaupt sei. Ähnlich verwirrend ist auch die Befragung von drei weiteren Zeugen, die am Tag der Tat auf Bitte des Angeklagten in der Pizzeria den Gesprächsverlauf am Nachbartisch heimlich verfolgen sollten, vom Gespräch selbst aber dann letztendlich nicht viel mitbekommen haben wollen. Der erste dieser drei Zeugen, ein langjähriger Parteifreund des Angeklagten, kann sich an Einzelheiten der Unterhaltung kaum noch erinnern. Der nächste, der dem Richter Rede und Antwort steht, ist ebenfalls ein alter Bekannter des Angeklagten und gibt an, kaum etwas gehört zu haben, weil er zu diesem Zeitpunkt unter einem Tinnitus gelitten habe. Und die dritte Person, die dem Gespräch lauschen sollte, jedoch auch nicht alles mitbekommen habe, weil eine Pflanze im Weg gestanden und sie ungünstig gesessen habe, war die damalige Anwältin des 70-Jährigen. Einig sind sich alle drei allerdings darin, dass die Äußerung mit Sicherheit nicht ernst gemeint gewesen sei. Dem schließt sich das Gericht nach rund viereinhalb Stunden Verhandlung an und stellt das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft schließlich ein.

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