"Zu Unrecht als asozial abgestempelt"

Die Kriminalstatistik 2007 weist für die Verbandsgemeinde Speicher überdurchschnittlich viele Straftaten aus. Einen Grund dafür sehen Polizei und Ortsbürgermeister in der alten Housing. Der TV machte sich vor Ort ein eigenes Bild und sprach mit einigen Anwohnern.

 Die Architektur der Häuser in der ehemaligen Housing ist einheitlich. Dennoch scheinen sie sich alle sehr unterschiedlich entwickelt zu haben. TV-Foto: Jens Klein

Die Architektur der Häuser in der ehemaligen Housing ist einheitlich. Dennoch scheinen sie sich alle sehr unterschiedlich entwickelt zu haben. TV-Foto: Jens Klein

Speicher. Die immer wieder vorbeidonnernden Militärjets sind an diesem Nachmittag wahrscheinlich der größte Störfaktor in der ehemaligen Housing in Speicher. Von dem "gefährlichen Pflaster", als das Speicher nach Veröffentlichung der Kriminalstatistik 2007 bezeichnet wurde, lässt sich in diesem Moment wenig spüren: Kinder spielen ausgelassen auf der Straße oder bevölkern den Spielplatz, während die Vögel zwitschern und den Eindruck von Vorstadtidylle komplettieren.Marianne Jackson sitzt auf einer Bank im Vorgarten ihres Reihenhäuschens und genießt den Frühling. Von einer ständigen Bedrohung hat sie zumindest in ihrer Umgebung bislang wenig gemerkt: "Ich bin im August seit drei Jahren hier und kann nichts Schlechtes sagen." Anderer Meinung ist eine Housing-Bewohnerin, die auf ihrem Balkon steht und bügelt. Sie weiß sehr wohl vom schlechten Ruf der Gegend, betont hingegen, dass es momentan ruhig sei. Ihren Namen möchte die Seniorin dennoch ungern in der Zeitung lesen: "Das könnte nämlich schlimme Folgen haben."Zeitgleich kehrt wenige Straßen weiter ein Anwohner den Bürgersteig. Er möchte ebenfalls nicht namentlich erwähnt werden, hat für die Befürchtungen der Hausfrau jedoch nur wenig Verständnis. Die größten Probleme sieht er im Missbrauch von Alkohol und Drogen; Angst müsse man in der Siedlung allerdings nicht haben. Für die "schwarzen Schafe" macht der etwa 50-Jährige die Gemeinde mitverantwortlich. Schließlich habe sie seinerzeit versucht, Problemfälle aus dem Ort in die Housing zu verlagern, so die Anschuldigung.Genau dieser Einfluss von außen ist vermutlich eine der großen Schwierigkeiten des Wohngebiets, in dem einst amerikanische Streitkräfte mit ihren Angehörigen lebten. "Es ist kein gewachsenes Gebiet", erklärt ein Hausbesitzer. Er ist erst vor wenigen Monaten in die Wohnanlage gezogen und nimmt eine klare Unterscheidung zwischen Eigenheimen und Mietshäusern vor. Schwierig werde es meist, wenn der Hauseigentümer in der Ferne lebe und bei der Wahl seiner Mieter keine großen Ansprüche habe.Zur Gruppe der Eigenheim-Besitzer zählt Christian Clemens. Er fühlt sich durch die Berichterstattung im TV über die ehemalige Housing persönlich angegriffen. "Der Artikel hat schlechte Auswirkungen auf den Verkaufswert meines Hauses", erklärt er. Sogar von Kollegen sei Clemens bereits gefragt worden, in welcher Gegend er da lebe. Seit Februar 2005 wohnt der junge Mann mit seiner Frau in dem kleinen Reihenhaus am Rande der Siedlung und hat nie etwas Negatives erlebt. In seinen Augen handelt es sich bei maximal zehn Prozent der Bewohner um eine schwierige Klientel: "Das sind aber eher Jugendliche, die etwas vom Weg abgekommen sind." Ähnlich sieht es auch ein Anwohner, der wenige Meter weiter seine Schubkarre entlädt: "Wir werden zu Unrecht als asozial abgestempelt", beschwert er sich und unterstreicht, dass er "lieber hier lebe als anderswo".HINTERGRUND Die Speicherer Housing wurde in den 80er Jahren errichtet und umfasst insgesamt 300 Wohneinheiten. Der hintere Teil der Housing (100 Wohneinheiten) dient den US-Streitkräften noch immer als militärischer Wohnraum, während der vordere Teil seit Februar 2005 umgenutzt wurde. Dort leben heute etwa 450 Einwohner in Reihenhäusern und Mietwohnungen. Im Gegensatz zu den Einfamilienhäusern, die zur Selbstnutzung an junge Familien verkauft wurden, sind die sechs Mehrfamilienhäuser der Wohnanlage Mietobjekte. Die ursprünglichen Eigentümer waren private Investoren in ganz Deutschland. Mittlerweile wird jedoch versucht, die Immobilien regional zu vermarkten, damit die Eigentümer einen direkteren Kontakt zu ihren Mietern haben. Die Käufer werden bezuschusst und dürfen ihre Wohnungen anschließend nur an Nutzer mit Mietberechtigungsschein vermieten. (jk)

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