Zum Geburtstag das "Zech-Recht"

BITBURG. Wo am Tag zuvor noch böse Worte wider die deutsche Justiz gefallen waren (siehe Bericht Seite 11), glänzten zu klassischer Musik nun festlich rote Weihnachtskugeln. Das Amtsgericht hat gestern zweier Jahrhunderte Bitburger Rechtsprechung gedacht.

Dicht gedrängt standen die Gäste bis weit vor die Tore - der Amtsgerichtssaal war zu klein. Die Feier eines besonders runden Geburtstags, hoher Besuch aus Mainz, vielleicht aber auch der angekündigte Vortrag des promovierten Juristen und Bürgermeisters Joachim Streit zum "Zech-Recht" mögen die Gründe für das zahlreich erschienene Publikum gewesen sein. Seit 200 Jahren hat Bitburg ein Amtsgericht. Direktor Werner von Schichau betonte die besondere Bedeutung, die die "Serviceleistungen" dieses Gerichts für die Bürger hätten: "Mit unserer Arbeit geht einher, wie sie die Justiz wahrnehmen."Kein Zutritt für Frauen

Gefeiert wurde ein Jubiläum, das der Holz vertäfelte Gerichtssaal mit seinem amtsstubenhaften 70er-Jahre-Flair nicht vermuten lässt. Als Bitburg am 20. Januar 1805 ein französisches Friedensgericht erhielt, stand dessen Residenz auch nicht in der Gerichtsstraße, sondern vermutlich in der Nähe des heutigen Postplatzes. Das linksrheinische Territorium stand damals nach einem Feldzug Napoleons gegen die Rheinbundstaaten unter französischer Verwaltung. Bitburg gehörte - als Teil des früheren Herzogtums Luxemburg - zum "Département des Forêts". Nachzulesen ist die Geschichte und so manches "Histörchen" drum herum in einer Broschüre, die von Schichau seinem Gericht zum Geburtstag vermachte (der TV berichtete). Auch der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin wandte den Blick in die Vergangenheit des Gerichtswesens. Er gedachte der Ohrfeigen, die einst für Ruhe in so manchem Saal sorgten, schlecht verdienender Richter, die sich ständig neue Gebühren ausdachten, und der bis 1920 währenden Verbannung des weiblichen Geschlechts - "Dinge, die sich heute glücklicherweise verändert haben", sagte Mertin. Günther Grün, Bitburgs dienstältester Rechtsanwalt, nutzte die Gelegenheit, um ein wenig aus dem Nähkästchen seiner 40-jährigen Berufserfahrung zu plaudern. "Das Bitburger Gericht ist ein strenges, aber gerechtes", sagte er. Er dachte dabei nicht nur an Richter von Schichau, sondern auch an einen richterlichen Vorfahren, an Berge von Verfügungen und an eine Anwaltskollegin. Um länger arbeiten zu können, musste sie sich auf richterlichen Wunsch in Bitburg ein Hotelzimmer suchen, statt den letzten Bus nach Trier zu nehmen. "Dieser Richter war für's Lachen nicht gemacht", erinnerte sich Grün. Ganz anders als Bürgermeister Streit. Seiner Art entsprechend hatte er sich für den Festvortrag etwas ganz Besonderes ausgedacht: eine teils literaturkritische, teils juristisch-historische Betrachtung des "Zech-Rechts". Eine Idee, die ihm seiner Bierstadt ebenso angemessen schien wie dem von der "Betäubungsmittelbranche" gefürchteten Amtsgerichts-Direktor. Das "Zech-Recht" ist ein satirisches Werk des englischen Dichters Richard Brathwaite. Er veröffentlichte es 1616 unter dem vielsagenden Pseudonym "Blasius Multibibus". Seine wortgewaltige Schilderung säuferischer Heldentaten traf den Geschmack des damaligen Publikums. Speziell für Juristen geschrieben, erörtert das Werk scharfsinnig wichtige Fragen des Saufens. "So kann etwa die Frage, ob Frauen beim Zechen zugelassen seien, nicht einfach bejaht oder verneint werden. Man muss unterscheiden, ob es sich um junge oder alte Frauen handelt", erläuterte Streit lachend. Eine Art "Zech-Recht" gab und gibt es tatsächlich. Die Zuhörer erfuhren von zahlreichen juristischen Mitteln, die im Lauf der Jahrhunderte wider die "teufflische gewohnheit des uberschwencklichen zutrinckens" ins Feld geführt wurden. Im Anschluss gab es frisch gezapftes Bier.

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