"Ganze Dörfer ausgerottet"

NEUERBURG. Gruselig schön sind Hexengeschichten besonders an Halloween oder in der Walpurgisnacht. Wenn die Geschichten jedoch zur realen Geschichte werden, wandeln sich die gruselig schönen Gefühle schnell in Entsetzen und Betroffenheit. Nahezu 100 Besucher lauschten auf der Jugendburg in Neuerburg dem Vortrag von Rita Voltmer zum Thema Hexenverfolgung am Hochgericht Neuerburg.

Margarethe von Körperich hieß das zwölfjährige Mädchen, dass den Gerichtsakten zufolge im Jahr 1600 Unruhe in Neuerburg auslöste. Sie bezichtigte zwei Frauen, darunter die eigene Großmutter, der Hexerei. Auf einem Geißbock habe die Großmutter sie durch den Schornstein auf einen Flug über Neuerburg mitgenommen und sie einem schwarzen Galan zugeführt. Das fantasievolle Geschwätz des Kindes - Margarete war ein Bettelkind und wuchs im Hause des Stiefvaters auf - fiel zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Neuerburg auf fruchtbaren Boden. Die beiden Frauen überlebten die Attacke, denn nach Aussage der Gerichtsakten wurden sie 1612 ein weiteres Mal diffamiert und angeklagt. Der erste aktenkundige Prozess in Neuerburg fand 1580 statt. Das Opfer war Elisabeth Berscheid, eine ältere Frau. Insgesamt 70 Todesurteile wurden in Neuerburg gesprochen, die meisten davon in der Zeit von 1611 bis 1632. Aberglauben und Sozialneid waren die Ursachen

"Hexerei galt als Verschwörung, und die Angeklagten mussten die Namen ihrer Komplizen benennen." Die Namen ihrer Verleumder und auch Mitglieder der eigenen Familie standen auf dieser Liste. So gerieten die Verleumder, die beim Prozess als Zeugen auftraten, selbst in den Verdacht der Beteiligung und wurden der Hexerei angeklagt. Auch Margarethe von Körperich überlebte ihr ketzerisches Geschwätz nicht. Die in vielen Prozessen aufgetretene Kronzeugin wurde am 18. Juni 1613 zum Tode verurteilt und verbrannt. Gerichtsbeistände waren zugelassen, wurden aber aus finanziellen Gründen nicht angenommen. Nicht selten bedeuteten schon die Gerichtskosten den finanziellen Ruin der Familie. Mit diesem dunklen Kapitel der Geschichte im Neuerburger Land hat sich Rita Voltmer (TV-Foto: Waltraud Ewerhardt) auseinander gesetzt. Die promovierte Wissenschaftlerin lehrt an der Uni Trier geschichtliche Landeskunde. Mit Publikationen über Hexenprozesse und ihrer Beteiligung an Ausstellungen in Luxemburg und Berlin zu diesem Thema hat sie sich einen Namen gemacht. Frömmelei, Aberglauben, Sozialneid, Habgier und Rachsucht seien die Ursachen für dieses Geschehen gewesen. Von der Schweiz ausgehend habe sich im 16. Jahrhundert die Hexenverfolgung über Frankreich und Luxemburg in ganz Mitteleuropa ausgebreitet. Sie habe etwa 60 000 Menschen das Leben gekostet. Auf die Hexenprozesse im Neuerburger Land wurde die Wissenschaftlerin durch eine Anhäufung von Todesurteilen in dem Ort Oberweis aufmerksam. "In Oberweis gab es eine Prozessexplosion, die noch ungeklärt ist. Aus keinem anderen Dorf sind so viele Bezichtigungen bekannt", sagte Rita Voltmer. Von den 70 ausgesprochenen Todesurteilen am Hochgericht Neuerburg wurden zu Beginn des 17. Jahrhunderts 23 Menschen aus Oberweis hingerichtet. 16 Menschen waren aus Neuerburg, sieben aus Waxweiler und fünf aus Utscheid. Vom Verfolgungswahn der Hexerei waren alle Schichten der Gesellschaft betroffen. Nicht selten wurden auch politische Gegner auf diese Art ausgeschaltet. Zwei Drittel der Betroffenen waren Frauen, ein Drittel Männer. Rita Voltmer: "Was Krieg und Pest nicht geschafft haben, hat die Hexenverfolgung geschafft: Ganze Dörfer wurden fast ausgerottet."

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