Spaziergang durch Rom

KLOSTER HIMMEROD. Ein ganzes Buch in einem einzigen Satz. Abschreckend? Ganz im Gegenteil. Mit seinem jüngsten Buch "Bildnis der Mutter als junge Frau" legt Schriftsteller Christian Friedrich Delius eine autobiografisch gefärbte Erzählung mit Sogwirkung vor. Am Freitag, 13. Oktober, 20 Uhr, liest er im Kloster Himmerod im Rahmen des Eifel-Literatur-Festivals Passagen daraus vor.

Rom 1943. Wie verzaubert wandelt ein Liebespaar gemeinsam durch die "ewige Stadt". Vorbei an den Überresten des Imperiums Romanum. Ihr Glück scheint grenzenlos. Doch nach nur drei gemeinsamen Tagen nimmt es ein jähes Ende: "Abstellungsbefehl! Afrika! Übermorgen Abend!" Der Traum des Zusammenlebens mit ihrem Mann scheint für die namenlose Protagonistin dieser Geschichte, eine junge Deutsche, 21 Jahre, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes steht, zerstört.Erzählung mit autobiografischen Zügen

Plötzlich allein in der Fremde, macht sie sich an einem sonnigen Tag im Januar 1943 auf zu einem Spaziergang durch Rom. Sie sieht die Menschen in Schlangen vor der Bäckerei stehen, die Fahnen Mussolinis wehen, und ständig wartet sie auf Nachricht ihres geliebten Mannes. Trotz der verwirrend schönen Eindrücke und all der rätselhaften Dinge, die ihr auf ihrem Weg begegnen, ist sie mit jedem Gedanken bei ihm, ihrem Mann, und ihrem ungeborenen Kind. Autobiografische Züge sind in vielen Büchern Delius' zu erkennen. Auch in seiner jüngsten Erzählung greift er seine eigene Herkunft, seine Familiengeschichte auf. Der gesellschaftskritische Autor wurde 1943 in Rom geboren, wuchs später in Hessen auf. Die junge Frau, die er beschreibt, scheint seine Mutter zu sein. Ob es nun dieser autobiografische Bezug ist oder der Zauber Roms, die Ängste, die der Krieg auslöst oder die einfühlsam erzählte Liebesgeschichte - "Bildnis der Mutter als junge Frau" entwickelt eine Sogkraft, der man sich kaum entziehen kann.126 Seiten in einem Satz

Der Titel von Delius jüngster Erzählung erinnert derweil an den Bildungsroman von "A Portrait of the Artist as a Young Man" (Ein Porträt des Künstlers als junger Mann) von James Joyce. Und nicht nur die Titel ähneln sich. Joyces erster Roman enthält ähnlich wie Delius Erzählung starke autobiografische Züge. Ob diese Parallelen reiner Zufall sind oder doch bewusst gewählt wurden, wird Delius vielleicht bei seiner Lesung im Kloster Himmerod verraten. Wie bereits bei seiner Erzählung "Die Birnen von Ribbeck" aus dem Jahr 1991, in der sich der promovierte Schriftsteller und langjährige Lektor kritisch mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung auseinander setzt, ist auch sein jüngstes Werk in einem einzigen Satz geschrieben - 126 Seiten! Ähnlich wie die namenlose Protagonistin in "Bildnis der Mutter als junge Frau" bei ihrem Spaziergang durch die Gassen von Rom in ihre Kindheit abtaucht und versinkt, ähnlich ergeht es dem Leser dieses Buchs. Während die Protagonistin Neugier, Angst und Hoffnung durchlebt, wird der Leser von dieser Geschichte gefangen genommen und kann das Buch erst zur Seite legen, wenn dieser eine Satz beendet ist. Friedrich Christian Delius liest am Freitag, 13. Oktober, um 20 Uhr im Kloster Himmerod. Karten für die Lesung gibt es in Buchhandlungen, zentral unter Telefon 06551/2489 oder im Internet unter www.eifel-literaturfestival.de. Das Buch "Bildnis der Mutter als junge Frau" ist im Rowohlt-Verlag erschienen und kostet 14,90 Euro. Weitere Termine des Festivals: 20. Oktober: Peter Scholl-Latour, 20 Uhr, Dauner Forum (ausverkauft); 24. Oktober, Peter Hahne, 19 Uhr, Aula der Hauptschule in Prüm; 27. Oktober, Prof. Dietrich Grönemeyer, 20 Uhr, Wittlich, Synagoge (ausverkauft); 10. November, Alice Schwarzer und Barbara Maia, 20 Uhr, in der Aula der Hauptschule Prüm.

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