Über der Zeitung beten

Man kann geteilter Meinung sein, ob es gut ist, dass das erste geistige Futter am Morgen die Zeitung ist. Aber in den meisten Familien wird es am Kaffeetisch so sein. Wenn dem so ist, dann lohnt es sich vielleicht, die morgendliche Zeitungslektüre mit etwas Sinn zu füllen, zum Beispiel die großen und kleinen Sensationen der Meldungen oder das lokale Geschehen mit einem Gebet im Herzen zu sichern und Gott anzuvertrauen.Wenn ich lese: "Jugendliche greifen immer öfter zur Flasche", dann kann ich Gott bitten, er solle uns doch einen Blick für die Situation junger Leute in unserer Zeit geben, auf die so vieles einstürmt und die, warum auch immer, eine Benebelung brauchen, um feiern zu können.Oder ich lese da: "Manager-Boni, trotz Finanzkrise schütten Industriefirmen und Banken Milliarden an Prämien aus." Natürlich ist es der Wunsch vieler Menschen, einmal das große Glück zu haben im Lotto oder in Anlagenfonds, aber eigentlich muss uns bei dieser Überschrift der Gedanke an die Menschen kommen, die sich tagtäglich redlich mühen und ihr Leben nun mal darauf eingestellt haben, was ihr Verdienst hergibt.Aber da ist noch was bei dieser Zeitungsnachricht, richtig: Hartz-IV-Empfänger.

Ich kann beten: "Herr, schenke uns das richtige Maß in unserem Lohngefüge, damit nicht so viele Menschen sich zweiter, dritter oder welcher Schicht auch immer in unserer Gesellschaft fühlen müssen." Und dann die Sorgen der Bauern, vor allem der Milchbauern bei den niedrigen Preisen. Was fällt mir zu dieser Nachricht ein? "Was ist uns die Schöpfung Gottes noch wert? Haben wir nicht alle eine Verantwortung dafür, nicht nur die Bauern, die stellvertretend Landschaft pflegen, säen und ernten. Und eine Milliarde Menschen hungert täglich." Und dann ist da die vorletzte Seite unserer Zeitung; viele lesen diese zuerst. Wer ist von dieser Welt gegangen, den ich kannte, welche plötzlichen Veränderungen kommen auf die Familien zu? Mit welchen Worten drücken die Angehörigen den Abschied aus? "Gott, mach uns stark in der Hoffnung und in der Liebe, wenn wir spüren, dass da jemand ganz bewusst das Schicksal eines frühen Todes annimmt und die Reise antritt. Lesen in der Zeitung, es kann ein tägliches Gebet werden." ca/jöl

Rudolf Meyer war Direktor der Katholischen Landvolkhochschule.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort