Zweite Geburt

Die wenigsten Gottesdienstbesucher der Kyllburger Stiftskirche sind sich bewußt, dass sie über Gräbern sitzen. Das Marienstift - gegründet 1276 - diente über mehr als fünf Jahrhunderte nicht den Bedürfnissen einer Pfarrgemeinde, es war Sitz einer geistlichen Kommunität, die während der Säkularisation 1802 aufgelöst wurde.

Diese Gemeinschaft bestattete ihre Toten im Chor der Kirche, im Kirchenschiff selbst fanden Freunde und Förderer des Stiftes ihre letzte Ruhestätte. Ein Teil der Grabplatten, die früher die gesamte Bodenfläche bedeckten, sind heute an den Seitenwänden und im Kreuzgang aufgestellt. Es war das christliche Mittelalter, das seine Verstorbenen nicht mehr außerhalb der Stadtmauern begraben wollte, es entstand der "Kirchhof". Eine klare Botschaft: Die Lebenden und die Verstorbenen gehören zusammen! So war jeder Gottesdienstbesuch ein Gang zu den Gräbern und damit ein Ritus gegen das Vergessen. Ein unverzichtbares Element des christlichen Gottesdienstes ist bis heute das Gebet für die Verstorbenen; gerade bei der Feier der Heiligen Messe werden regelmäßig die Namen bestimmter Verstorbener genannt, deren man in besonderer Weise gedenkt.

Jedes Gotteshaus ist ein Ort, wo Himmel und Erde sich berühren, jede eucharistische Mahlfeier ist ein Bild und Vorgeschmack des himmlischen Hochzeitsmahles. Und so war und ist die Errichtung von Gräbern in und um unseren Kirchen und Kapellen Zeichen eines lebendigen Auferstehungsglaubens.

Viele von uns werden an diesem Wochenende die Gräber ihrer Angehörigen besuchen. Wir bringen Blumen, zünden Kerzen an und vergessen hoffentlich nicht, ein kleines Gebet zu sprechen.

Das Jahr neigt sich zu Ende, die Dunkelheit des Winters kommt. Diese Zeit im späten Herbst ist Sinnbild unserer eigenen Vergänglichkeit.

Als Christen haben wir die Zusage und wir vertrauen darauf, dass der Tod nicht Ende und Abschied für immer ist. Unser Sterben ist gleichsam eine zweite Geburt hinein in die Fülle des Lebens.

Von solcher Hoffnung getragen wird der Gang zu den Gräbern an diesen Tagen zum Glaubenszeugnis.

Klaus Bender, Kyllburg,

Dechant im Dekanat Bitburg

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