Ein Bild aus dem Kessel von Stalingrad

PRONSFELD. Vor genau 50 Jahren wurde im Zuge der Kirchensanierung in Pronsfeld ein Relief im Chorraum der alten Kirche angebracht, das an die verheerende Kriegsschlacht in Stalingrad erinnert.

Nikolaus Kyll, Pfarrer in Pronsfeld von 1949 bis 1957, hat in seiner Chronik überliefert, was vor 50 Jahren im Einklang mit der Pfarrgemeinde in Pronsfelds altem Gotteshaus geschah. Dr. Kyll selbst wurde während seines Studiums in Berlin, wo er bei Adolf Spamer im Jahre 1940 promovierte, im Jahre 1941 als Sanitäter eingezogen. Erst sieben Jahre später kehrte er aus russischer Gefangenschaft in seine Eifelheimat zurück. Dem Ruf, als Professor in Trier zu arbeiten, leistete er keine Folge, stattdessen trat er seinen Pfarrdienst in Pronsfeld an. "Diese Entscheidung war vom Erlebnis in Krieg und Gefangenschaft bestimmt", notierte Kyll später. Zeitzeugen berichten, wie er Mitgefangene in der Heimat begrüßte: "Wer diese Momente gesehen und miterlebt hat, versteht Kylls Entscheidung", schreibt Matthias Zender, ein guter Forscherfreund des Eifelpriesters. In diesen Nachkriegsjahren reifte die Entscheidung, in Pronsfeld eine Erinnerung an die Kämpfe und Verluste in Russland zu hinterlassen. Im Zuge der Renovierung der alten Remigiuskirche wurde als Verkleidung des Steinaltares ein Relief in Buntsandstein angebracht, das das Bildnis der Muttergottes darstellt. Es ist angelehnt an die Originalzeichnung, die der Oberarzt Dr. Kurt Reuber am Heiligen Abend des Kriegsjahres 1942 in Stalingrad anfertigte. Als die Soldaten dort den notdürftig gegen Kälte und Geschosse schützenden Bunker zur Weihnachtsfeier betraten, standen sie ergriffen und schweigend vor dem Bild einer Mutter, die im weiten Mantel ihr Kind birgt. Dieses unter vielen Mühen mit Kohle auf der Rückseite einer russischen Landkarte gezeichnete Bild wurde bald die "Weihnachtsmadonna von Stalingrad" genannt. Das Bild gelangte aus dem Kessel heraus: der damalige Kommandeur des Bataillons, Hauptmann Grosse, brachte es mit, als er im Januar 1943 den Kessel als Schwerkranker verließ. Sein Schöpfer Kurt Reuber blieb in Stalingrad verschollen. Reuber war Truppenarzt beim Munitionsbatallion des Versorgungsregiments der 16. Panzerdivision. Im Alter von 37 Jahren war er zunächst mit vielen tausend Kameraden in Stalingrad vermisst, ist aber später - am 20. Januar 1944 - im Kriegsgefangenenlager Jelabuga gestorben. Reubers Bildnis wurde schnell zu einem der eindrucksvollsten Zeugnisse und Vermächtnisse des Zweiten Weltkrieges. Auch in Pronsfeld ist es seit nunmehr 50 Jahren verewigt, die Muttergottes von Stalingrad spendet in Pronsfelds alter Mutterkirche Trost und Zuversicht. Nicht zuletzt all den Hinterbliebenen von 182 Gefallen und Vermissten der Pfarrei, die hier - ebenfalls in Sandstein - namentlich aufgelistet sind. Kriegsleid und Weihnachtsfreude - beides liegt an diesem Ort nahe zusammen.

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