Ein ungewöhnliches Leben in der Baumkrone

SCHARFBILLIG. (js) Es ist ein kleines Naturphänomen der besonderen Art. Ehe man in den Weiler Scharfbillig in der Nähe von Bitburg hineinfährt, wird man erst einmal überrascht. Eine Baumallee mit großen Misteln zieht die Blicke auf sich.

Misteln sind eine besondere Erscheinung in der Natur, gelten als Heilmittel und Glücksbringer. Der Mistelzweig wurde zum Symbol von Mut, Gesundheit, Fruchtbarkeit und Glück. Die Germanen hielten die ergrünenden Misteln für heilig, weil sie glaubten, sie seien vom Himmel gefallen. Ganz wie bei Asterix ernteten die Druiden Misteln für ihre Zaubertränke. Noch heute bringt ein Kuss unter Mistel-Zweigen Glück - das Paar wird angeblich im nächsten Jahr heiraten. Den Bäumen, auf denen die Misteln wachsen, bringt diese Pflanze eher weniger Glück. Es handelt sich um Halb-Parasiten. Die grünen Blätter enthalten zwar Chlorophyll und können Photosynthese betreiben, die Versorgung mit Kohlenhydraten ist also gesichert, Wasser und Mineralstoffe entzieht die Mistel aber dem Baum. Über Vogelkot gelangen die klebrigen Samen an ihren Bestimmungsort hoch oben im Baum. Der Keimling dringt mit Hilfe von umgewandelten Wurzeln, den Haustorien, in die Baumrinde ein und arbeitet sich bis zu den Leitungsbahnen des Astes vor. Dort zapft er die Wasser- und Mineralstoffleitung an und nimmt die Nährstoffe auf, an die Pflanzen im Regelfall über ihre Wurzeln aus dem Boden gelangen. Für dieses ungewöhnliche Leben hoch oben in der Baumkrone hat die Mistel verschiedene Anpassungsstrategien entwickelt. Da sie das Wasser von dem Wirtsbaum abziehen muss, empfiehlt es sich, sorgsam damit umzugehen. Die dickhäutigen Blätter erschweren die Verdunstung und verhindern auf diese Weise eine Wasserverschwendung. Da die Blätter nicht abgeworfen und damit im Frühjahr nicht neu gebildet werden müssen, spart die Mistel auf diese Weise Baumaterial und Nährstoffe. Den richtigen Riecher hatten übrigens schon die keltischen Druiden: Heute werden Inhaltsstoffe der Mistel für ihre blutdruckregulierenden Eigenschaften geschätzt. Zudem hemmt ein Protein der Mistel unkontrolliertes Zellwachstum und wird deshalb in der Krebsbekämpfung eingesetzt. In vielen Gegenden galt die Mistel früher als Glücksbringer. Ein Mistelzweig am Jagdhut verhalf mit Sicherheit zu reicher Beute. Die Bauern schmückten die Kuh, die als erste im neuen Jahr kalbte, mit Mistelzweigen, streuten die Beeren aufs Heu und mischten sie zur Saatzeit unter die Hirse und anderes Getreide. Frauen, die vergeblich auf Kinder hofften, banden sich einen Zweig um den Hals oder legten ihn unters Kopfkissen.

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