"Abhauen, so schnell es geht"

HILLESHEIM. (fs) Erholung von den Flut-Strapazen: Aus mehr als 600 Kilometern Entfernung kam Familie Meyer aus dem kleinen sächsischen Dorf Paußnitz im Kreis Riesa in die Eifel. Sie folgte der spontanen Einladung eines Hillesheimers.

Aufmerksam geworden war der Spender - ein Hillesheimer Junggeselle, der nicht genannt werden möchte - auf die junge Familie und ihre Nöte wenige Wochen nach der Katastrophe vom August 2002 in der MDR-Fernsehsendung "Unter uns". "Über die Einladung waren wir sehr erfreut, und nun sind wir da", sagt Jens Meyer (34). Dass der Urlaub erst jetzt möglich wurde, lag an den umfangreichen Renovierungsarbeiten an ihrem stark beschädigten Neubauhaus. Die nahmen viel Zeit in Anspruch. Auch Sohn Christoph (5) hat dabei mitgeholfen. Er erzählt: "Meine Spielsachen wurden zuerst hoch geräumt." Und dann berichten die Meyers von der Hochwasser-Katastrophe. Vom Wetterdienst gewarnt, begann die Umquartierung der Frauen und Kinder. "Wir waren von der Hilfsbereitschaft überwältigt, kamen bei Verwandten, Freunden und Fremden unter", erzählt Anke (33). Im nahe gelegenen Strehla bot man ihnen eine kleine Wohnung an, wo sie zehn Monate bleiben durften, ohne Miete und Nebenkosten zahlen zu müssen. Dennoch waren sie nicht auf die Naturgewalt vorbereitet. Wie niemand im Dorf: Das ehemals 200 Bewohner zählende Dorf war nur noch von 30 mutigen Männern bevölkert. Ein nach der Wende zugezogener holländischer Landwirt hatte bereits Tage zuvor vorsorglich begonnen, seine 500 Kühe landeinwärts zu bringen. Den Männern im Dorf überließ er leihweise Kettensägen und Radlader, mit denen sie versuchten, einen Schutzdamm notdürftig zu errichten. "Pausenlos haben wir Sandsäcke gefüllt", berichtet Jens Meyer. Vom Keller und Erdgeschoß transportierte er so viel wie möglich nach oben bis in den Speicher. Nach zwei Tagen fast ununterbrochener Arbeit zur Rettung des in 1500 Metern Entfernung zum Elbufer gelegenen Dorfs gab es Freitagnacht, 15. August, eine kleine Pause.Schlammwasser stieg bis ins Obergeschoss

Jens Meyer erinnert sich: "Ich war völlig ausgepumpt, saß auf dem Sofa, dachte an meine Familie und hoffte, dass die Flutwelle uns verschont. Doch schon einige Minuten später hörte ich das Polizeiauto und wusste: Jetzt heißt es abhauen, so schnell es geht." Das schlammige braune Elbwasser gelangte bis in das Obergeschoß. Die sächsische Aufbaubank übernahm zwar 80 Prozent der Reparaturkosten, doch der Rest von 20 000 Euro ist für die Meyers auch kein Pappenstiel. "Hätte ich keine Kündigung als Heizungsbauer zum 1. März erhalten, dann wäre alles einfacher", sagt der Hausherr. Und dennoch sagen Jens und Anke Meyer: "Wir alle im Dorf erlebten eine Woge menschlicher und materieller Hilfsbereitschaft, die sich wie Balsam auf unsere Wunden legte." Ihren Aufenthalt in Hillesheim nutzen sie weitgehend dazu, "in alle Richtungen auszuschwärmen, um viel Neues zu sehen". "Momentan, wo wir in Hillesheim einen Urlaub verbringen dürfen, ist das Geschehen zwar etwas entrückt, aber zuhause wird uns das Ganze wieder rasch einholen", sagt Anke Meyer. Doch jetzt gelte es, den Urlaub zu genießen: So fahren sie bei ihren Ausflügen "bewusst etwas langsamer als sonst", um die Sicht und die Weite der Eifel zu genießen. "Das ist einfach fantastisch", meinen sie.

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