Arztpraxen vor dem Aus?

DAUN. Ein gutes Dutzend Ärzte aus dem Kreis Daun hat gestern beim landesweiten Protesttag "Praxis 2006" mitgemacht. Die Mediziner kämpfen für adäquate Rahmenbedingungen, "weil viele Praxen schon jetzt vor dem wirtschaftlichen Aus stehen würden". Außerdem sehe es düster für die medizinische Versorgung auf dem Land aus. In den beteiligten Arztpraxen wurde nur das Notwendigste gemacht.

Keine großen Demo-Plakate und auch keine Ärzte, die die Hände in den Taschen des weißen Kittels lassen, erwarteten gestern die Patienten in etlichen Praxen. "Wir streiken nicht, sondern protestieren. Wir machen heute nur das Nötigste", erklärte Dr. Konrad Janzen. Anrufer wurden mit einer Bandansage auf die Aktion hingewiesen. Janzen ist sauer auf die Regelungen der Gesundheitsreform, die die Mediziner in den Ruin treiben. Er sagt: "Der Arztberuf ist zum Erbsen-Zähler-Job geworden." Seine Arzthelferin beteiligte sich in Mainz an einer Demonstration. Gemeinsam mit Kolleginnen aus Wittlich war sie in die Landeshauptstadt gefahren. Die Gesundheitsreform hat auch im Kreis Daun schon Arbeitsplätze gekostet. Reinhard Kohlhaas erklärt: "In den vergangenen zwei Jahren haben wir vier Arzthelferinnen entlassen müssen, um über die Runden zu kommen." Der Arzt betreibt in Daun eine Praxis als ambulanter Chirurg. Seit 28. November operiert er nur noch im Notfall. Damit reagiert er auf die Forderung seines Landesverbandes in einer weiteren Protestaktion nach kostendeckender Vergütung. Nach einer Regelung werden Behandlungen in Punkten bewertet und pro Punkt sollten 5,11 Cent gezahlt werden. "Davon gehen aber 80 Prozent an den technischen Teil. Für den Arzt wäre ein Stundenlohn von 46 Euro übrig geblieben. Aber es werden nur zwei bis drei Cent pro Punkt gezahlt. Selbst wenn wir umsonst arbeiten, sind die Kosten nicht gedeckt", rechnet Dr. Kohlhaas vor. Ohne die Querfinanzierung durch die Behandlung von Privatpatienten und Arbeitsunfällen (Berufsgenossenschaften) hätte er schon lange schließen müssen. Die AOK würde "mauern". Betriebskrankenkassen lassen noch mit sich reden

Kohlhaas prognostiziert: "AOK-Patienten müssen künftig damit rechnen, schlechter behandelt zu werden. Die Betriebskrankenkassen lassen noch mit sich reden." Er hofft auf "einen guten Verlauf der aktuellen Verhandlungen". Doch auch für die Allgemeinmediziner wird es eng. Vor allem für "Einzel-Praxen" auf dem Land. Viele vermuten, dass "sie systematisch kaputt gemacht werden sollen". Gemeinschaftspraxen bekommen nämlich von den Kassen einen zehnprozentigen Bonus. Rainer Wagner aus der Praxis Nolting in Neroth vermutet: "In den Dörfern werden die Praxen früher oder später schließen, weil immer mehr Vergütungen reduziert und teure Anschaffungen gefordert werden." Die Nachfolgerfrage kann schon heute oft nicht gelöst werden. Heinz Niesen hat vor drei Jahren eine Praxis in Gerolstein übernommen. Der Allgemeinmediziner meint: "Die Kassen haben das Problem geschickt verlagert. Eigentlich sollten sie den Patienten erklären, warum sie viele Leistungen nicht mehr übernehmen." Betriebswirtschaft habe nicht zum Studium gehört. Er wolle wieder ausschließlich Mediziner sein. Dr. Friedemann Bertholdt schließt sich ihm aus Überzeugung an. Der Kinderarzt sagt: "Die Politik muss Einfluss nehmen auf die Krankenkassen, deren Verwaltungsapparat viel zu viel kostet." Anja Verheyen aus Berlingen hält Sohn Max (ein Jahr) auf dem Arm und sagt: "Die Bürokratie bei den Kassen treibt wirklich Blüten. Ich habe schon etliche unsinnige AOK-Schreiben bekommen mit Fragen, beispielsweise wann Max die Schule verlässt oder ob er Wehrdienst ableisten will." Die Budgetierung (pro Patient einheitlicher Vergütungssatz, egal, ob der Patient teure Anwendungen braucht oder nicht) lastet schwer auf den Medizinern. Dr. Reinhard und Elvire Wagner, die seit 16 Jahren in Gerolstein eine Praxis betreiben, sagen: "Für 2002 sollen wir einen hohen fünfstelligen Betrag aus der privaten Schatulle bezahlen, weil wir angeblich zu viel verordnet haben." Noch laufen die Verhandlungen. Elvire Wagner: "Die drohenden Regresse belasten. Zuerst zittert man mal."

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