Backbord retteten die Deutschen, Steuerbord die Russen

MEHREN. Am 21. November 1915, vor fast genau 90 Jahren, schickte Adam Rehling eine Feldpostkarte mit russischen Absendestempeln in die Heimat. Auf der Vorderseite sind Weihnachtsmotiven und Schneetannen zu sehen.

"Gruß aus der Ferne sendet euer Sohn und Bruder Adam." Mehr Worte waren den Gefangenen in der Regel nicht erlaubt. Wie lange diese Karte unterwegs war, weiß niemand mehr zu sagen. Sie wird heute von Oskar und Maria Heck (geborene Rehling) aus Mehren als historischer Familienschatz gehütet. In den Weltkriegen 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 hat es viele Kriegsschicksale gegeben, an deren Folgen die Angehörigen oft sehr litten. Anita Heck aus Mehren erzählt, wie ihr Vater die Kriege erlebte. Bevor der Erste Weltkrieg begann, wurde der Vater am 13. Januar 1909 zur Marine nach Wilhelmshaven einberufen. Die 77-Jährige erzählt: "Als Heizer kam er auf den in Danzig stationierten Kreuzer ,Magdeburg'. Die erste Ausfahrt war am 25. August 1914. Vor Reval kam es zu einem Gefecht mit russischen Kriegsschiffen, in deren Verlauf der Kreuzer durch einen Volltreffer zu sinken begann. Die Matrosen, darunter auch Willi Jager aus Daun und Jakob Hambach aus Mehren, die von Backbord sprangen, wurden von deutschen Rettungsschiffen geborgen; die von Steuerbord springenden Matrosen wurden von russischen Schiffen gerettet. Dazu gehörte auch mein Vater." Die von den Russen geretteten Matrosen wurden auf dem Bahnhof von Reval in einen Güterzug verladen. Mit der transsibirischen Eisenbahn kamen sie nach vier Wochen im Gefangenenlager Chabarowsk am Amur an. Einen Zaun gab es dort nicht. "Aber wer wollte schon einen Fluchtweg von mehr als 10 000 Kilometer riskieren?" fragt Anita Heck und schaut mit ihrem Mann Oskar (82) auf Adam Rehlings Karte aus Russland. Die 77-Jährige erzählt weiter: "Anlässlich der Oktoberrevolution 1917 sollten die Gefangenen in ihre Heimat entlassen werden. Dieser Gefangenentransport endete in Irkutsk am Baikalsee. Wiederum wurde ein Gefangenenlager bezogen, und mein Vater wurde als Heizer auf einem Kriegsgefangenen-Transportdampfer eingesetzt." Wieder sollten einige Jahre vergehen, bis er im Dezember 1920 in die Heimat entlassen wurde. Am 1. Januar 1921 kam er in Mehren an. Dort erfuhr er von seinen Eltern, dass seine beiden Geschwister inzwischen verstorben waren. "Von den Lebenszeichen, die mein Vater Adam während der sechseinhalbjährigen Gefangenschaft an sein Elternhaus gesandt hat, kam eine einzige, selbst gestaltete Postkarte an, die das Datum 21. November 1915 trägt. Als vor genau 90 Jahren der Briefträger diese Karte brachte, war die Freude natürlich übergroß", erzählt die Mehrenerin. Das säuberlich verfasste Schriftstück im Postkartenformat drückt unübersehbar trotz der wenigen Worte die Verbundenheit zu den Angehörigen und die Sehnsucht nach der Heimat. "Die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg sorgten dann dafür, dass der Name Rehling für immer ausgelöscht wurde", schließt Anita Heck ihren Bericht ab und hält die Feldpostkarte in ihren Händen. Familie Rehling schickte sofort Weihnachtsgebäck auf den Weg, das jedoch erst zu Ostern in Krümeln bei Adam Rehling im Gefangenenlager ankam. Als der Zweite Weltkrieg begann, wurde Adam Rehling von 1939 bis 1945 kriegsdienst-verpflichtet. "Insgesamt waren es dann fünfzehneinhalb Jahre ,Dienst fürs Vaterland', die mein Vater abgeleistet hat. Zudem starb sein einziger Sohn Alfred 1944 in Russland, so dass der Name Rehling für immer ausgelöscht wurde", schließt Anita Heck.

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