Bürgermeister im Abschiedsstress

HILLESHEIM. Nach 28 Jahren als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Hillesheim geht Alfred Pitzen (CDU) am 1. Januar 2004 in Ruhestand. Und er verlässt das Hillesheimer Land, da er zu seiner Lebensgefährtin nach Konz zieht. Künftig will er mehr Zeit seinen Hobbies wie Radfahren, Angeln und Reisen widmen, Konzerte besuchen und "ein bisschen zur Uni gehen". Nicht mehr übernehmen will er Dinge, "bei denen ich an den Terminkalender gebunden bin", sagt der 63-Jährige im TV -Interview.

Herr Pitzen, sind Sie im Abschiedsstress? PITZEN: Ich habe in den letzten Wochen die Etatberatungen in den Ortsgemeinden dazu genutzt, mich zu verabschieden. Gleiches gilt bei verschiedenen Organisationen wie der Urlaubsregion und unter den Wehrführern. Die Verwaltungsmitarbeiter und alle anderen bei der Verbandsgemeinde Beschäftigten habe ich zu einer gemeinsamen Zusammenkunft eingeladen und mich dabei von ihnen verabschiedet. Nach einer so langen gemeinsamen Zeit geht es nicht, sich nur mit einem Händedruck und einem ,Auf Wiedersehen' zu verabschieden. Und dann ist da ja noch die offizielle Verabschiedung im Verbandsgemeinderat am Freitag. Dann ist wirklich Ende - denn zwischen den Jahren habe ich Urlaub, und am 30. Dezember feiere ich meinen 64. Geburtstag.Sie nehmen also nicht an der Verpflichtung Ihrer Nachfolgerin Heike Bohn am 30. Dezember teil?PITZEN: Nein. Ich habe Frau Bohn um Verständnis gebeten, dass ich meinen Geburtstag - wie in den Vorjahren - im engsten Familienkreis feiern werde.Gibt es bestimmte Gedanken, die Ihnen bei Ihrem Verabschiedungsmarathon immer wieder in den Sinn kommen? PITZEN: Ja, ich merke, dass es vor allem die Erinnerungen an Menschen sind, die sich im Lauf der Jahre eingeprägt haben. Ich hoffe, dass viele der Freundschaften und Bekanntschaften die aktive Dienstzeit überdauern werden. Bei meinen Fahrten zu den jeweils letzten Sitzungen habe ich mich gefragt: Was verbindest du mit diesem Ort, was war schön, was nicht. Das sind Fragen, die ich mir sonst nicht gestellt habe. Das ist alles im Alltagsgeschäft untergegangen.28 Jahre als Bürgermeister im Amt: Da erlebt man besonders intensiv, wie sich eine Gesellschaft wandelt. Was haben Sie beobachtet? PITZEN: Vielleicht ist die Religion ja ein Spiegelbild. Die Gottesdienstbesuche sind stark zurückgegangen, und ich denke, es ist sicherlich etwas dran an der These: Wenns den Leuten gut geht, beten sie nicht so oft. Auch die Familien sind gravierenden Veränderungen unterworfen. Ich will da gar nicht die hohe Scheidungsrate heranziehen, Fakt ist aber, dass heute fast jede Frau berufstätig ist. Das will ich gar nicht negativ werten. Fakt ist aber auch, dass, wenn beide Eltern arbeiten, die Kinder häufig zu kurz kommen. Und das äußert sich dann vielfach in Gewalt, Drogen und vielem mehr. Da kann der Staat noch so viel tun: Vater oder Mutter wird er nie ersetzen. Dennoch wird der Ruf nach Einrichtungen wie Krippe, Hort und Ganztagsschule immer lauter.Kann sich der Staat das leisten. Oder kann er es sich leisten, das weiterhin zu ignorieren? PITZEN: Das Anspruchsdenken der Bürger ist stark gewachsen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, schließlich wurde das vom Staat vermittelt. Nun ist es aber so, dass der Staat die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit überschritten hat. Beim Verhältnis Bürger-Verwaltung wird der Gegensatz deutlich: Ist der Bürger im Recht, pocht er darauf. Ist die Verwaltung im Recht, wird gesagt, man solle auch mal Fünfe gerade sein lassen. Dennoch gilt stets der Grundsatz, und das habe ich auch stets meinen Mitarbeitern so gesagt: Die Verwaltung ist für den Bürger da und nicht umgekehrt.Hat sich auch die kommunale politische Kultur gewandelt? PITZEN: Ich habe Zeiten mitgemacht, da herrschte eine wesentlich härtere Gangart. Das hängt aber stets von den handelnden Personen ab. In den vergangenen zehn bis 15 Jahren hatten wir keine besonderen politischen Kontroversen. Jeder wusste zwar, in welchem Lager ich stehe, aber ich war stets um den Konsens bemüht, habe immer versucht, Brücken zu bauen. Mein Wahlspruch lautete: Wir bauen keinen Kindergarten für die CDU, SPD, FWG oder Grüne, sondern für die Kinder."Von Möglichkeiten wird kaum Gebrauch gemacht"

Dennoch ist auch Ihnen nicht gelungen, die Bürger in die Ratssäle zu locken, sie an der Politik stärker teilhaben zu lassen, den Verdruss zu bekämpfen. Bedarf es heutzutage nicht offenerer Formen der Entscheidungsfindung wie Arbeitsgruppen von Bürgern zu bestimmten Einzelthemen? PITZEN: Darüber habe ich viel nachgedacht und bin klar zur Überzeugung gelangt: Ja, das brauchen wir. Es steht aber zunächst jedem frei, sich in den Räten zu betätigen und sich so in die Entscheidungsprozesse einzubringen. Gleiches gilt für die Mitwirkung als ,sachkundiger Bürger' in den Ausschüssen. Ferner sieht die Gemeindeordnung eine ganze Reihe von Instrumentarien an Mitwirkungsmöglichkeiten vor - von der Einwohnerversammlung und -fragestunde über das Petitionsrecht bis hin zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Davon wird aber zu wenig Gebrauch gemacht. Und falls Bürger es dennoch einmal machen, kommt es nicht selten vor, dass viele frustriert wieder aufhören, wenn nach einem halben Jahr Arbeit ihre Vorschläge dann doch nicht vom Rat beschlossen wurden. Und es kann nur der Rat sein, der letztlich entscheidet.Welchen Tipp geben Sie Leuten, die sich in der Kommunalpolitik engagieren wollen? PITZEN: Man sollte Ideen, Kraft und Beharrlichkeit mitbringen und nicht gleich beim ersten Gegenwind umkippen.Sie gelten nicht gerade als ein glühender Verfechter dieser offeneren Formen der Entscheidungsfindung und Bürgerbeteiligung. PITZEN: Na ja, wir haben eben keine Schweizer Verhältnisse, wo alle größeren Entscheidungen per Volksentscheid geregelt werden. Im Endeffekt steht und fällt das Engagement mit den Leuten, die vornweg marschieren. Ich habe nie Berührungsängste zu Bürgern mit anderer Meinung gehabt.Apropos Engagement: Nach der Wahlniederlage von Bernhard Jüngling, der auch nach Ihrem Willen Ihr Nachfolger werden sollte, wurden die Stimmen lauter, sie seien amtsmüde und wollten nur noch eine ordentliche Amtsübergabe hinbekommen. Was sagen Sie dazu? PITZEN: Diesen Vorwurf kann ich nicht akzeptieren, weil das weder meinem Naturell noch meiner Dienstauffassung entspricht. Ich habe alle Dinge, die zu tun waren, auch weiter vorangebracht: Sei es die Erneuerung des Lehrschwimmbads der Grundschule, sei es der vierte Bauabschnitt im Gründerzentrum und im Industriegebiet in Wiesbaum. Ich hatte nach wie vor stets einen vollen Arbeitstag und habe mich auch voll reingehängt.*Die Fragen stellte Mario HübnerLesen Sie morgen im zweiten Teil des Interviews ausführlich von Alfred Pitzens Erfolgen und Niederlagen.

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