Des Brandstifters Gretchenfrage

WALSDORF. Im Prozess um den Walsdorfer Brandstifter steht die Justiz vor einem Dilemma: Der 45-jährige Alkoholiker ist seit 15 Monaten in Untersuchungshaft "trocken", ein Therapieplatz ist in Rheinland-Pfalz nicht zu bekommen und der psychologische Gutachter legt sich nicht fest, ob weitere Straftaten drohen.

"Das ist hier die Gretchenfrage", antwortete Dr. Philipp Massing, Gutachter vor Gericht sowie Neurologe und Psychiater an den Rheinischen Kliniken in Bonn auf die Frage der Vorsitzenden Richterin Tanja Parent, ob die Gefahr bestünde, dass der Walsdorfer Brandstifter weitere Straftaten begehen könnte. Massing: "Eine erneute Straffälligkeit könnte wahrscheinlich in Verbindung mit Alkohol und im Affekt, wenn etliche Faktoren zusammen kommen, bestehen." In erster Instanz war Alfred S. zu zweieinhalb Jahren Haft und Zwangseinweisung in eine geschlossene Anstalt verurteilt worden (der TV berichtete mehrmals). Nach Revision vor dem Oberlandesgericht in Koblenz wird der Fall jetzt vor dem Amtsgericht Wittlich neu verhandelt. Nach medizinischer Rechnung hatte Alfred S., als er das Haus seiner Familie, die ihn kurz zuvor verlassen hatte, anzündete, einen Alkoholpegel von 3,71 Promille. Der Gutachter wertete die Brandstiftung als "autoaggressiven Akt, bei dem er sein Lebenswerk vernichtete".In Alfred S. stecke "viel innere Aggressivität"

Ob die anschließende Fahrt des Angeklagten zu seiner Familie deshalb in einer Verfolgungsjagd mit der Polizei und einem Unfall mit einem Verletzten endete, weil er seine Ehefrau töten wollte oder wegen der Flucht vor der Polizei eskaliert war, wollte Massing nicht bewerten. Diese Entscheidung überlasse er dem Gericht. Allerdings räumte er ein, dass Alfred S. "viel Energie in nach innen gerichtete Aggressivität gesteckt hat". Dies beweise beispielsweise der Erhängungsstrick, der zwei Jahre auf dem Speicher hing und als Druckmittel gegen die Ehefrau diente. Auch seine Weigerung, die Frage zu beantworten, ob er seiner Frau eine Mitschuld an den Taten gebe, bestätige diese Vermutung. Außerdem hatte die Haftpost eine Postkarte beschlagnahmt. Mit einem dubiosen Zitat wollte Alfred S. nach eigenem Bekunden einen Schlussstrich unter die Ehe ziehen. Massing: "Das kann so sein, kann aber auch eine Drohung sein." Das Zitat handelt nämlich von "Bauunglücken" und brennenden Tempeln.Scheidung, kein Job und viele Schulden

Die Beziehungskonflikte spielen bei Massings Gutachten eine große Rolle: "Wenn er die Beziehung verarbeitet und tatsächlich keinen Kontakt mehr hat, verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Straffälligkeit." Staatsanwalt Sebastian Jakobs bleibt skeptisch: "Die Scheidung steht noch an. Auch wird er Umgangsrecht mit seiner Tochter einfordern. Außerdem hat er keinen Job und viele Schulden am Hals. Da gibt es viel Anlass für Frust." Massing meint hingegen: "Im nächsten halben Jahr besteht keine hohe Wahrscheinlichkeit und anschließend ist es fraglich." Dem entgegnet Jakobs, dass der Angeklagte seit 1990 mehrere Entgiftungen gemacht und lange Abstinenzzeiten ausgehalten hat, aber jedes Mal eine psychologische Aufarbeitung verweigerte. Der Gutachter wertet dennoch "eine Therapie nicht als aussichtslos". Verteidiger Christoph Rühlmann erklärt: "Mein Mandant will ja in Therapie." Doch eine ambulante Therapie scheidet aus, weil Alfred S. nach Massing "eine stärkere soziale Kontrolle braucht". Einen geeigneten Therapieplatz zu finden, sieht der Psychiater "als Riesenproblem". Denn nach seiner Erfahrung sei dies wegen der Wartezeiten "äußerst schwierig". Wo der Brandstifter aber schließlich untergebracht wird, spielt beim Strafmaß eine untergeordnete Rolle. Am Freitag, 3. Dezember, beginnt um 10 Uhr der entscheidende Verhandlungstag. Richterin Parent und den beiden Schöffen steht eine schwierige Entscheidung bevor.

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