Familien leiden mit und unter dem Patienten

GEROLSTEIN. Schizophrenie ist nicht nur eine Krankheit, sondern ein gesellschaftliches Problem. Eines, mit dem viele Familien konfrontiert sind. Im Gerolsteiner Krankenhaus werden jedes Jahr 200 Patienten stationär behandelt. Der TV sprach mit dem behandelnden Psychiater, einer Patientin sowie einer Angehörigen, die auch Leiterin der Selbsthilfegruppe für Familien mit psychisch Kranken ist.

"Niemand hat Schuld", erklärt Stefan Thielscher, Leiter der psychiatrischen Abteilung im Gerolsteiner Krankenhaus. Nach seiner Erfahrung werden Patienten und deren Angehörige oft mit Vorwürfen aus dem sozialen Umfeld überschüttet. Ganze Familien leiden. Eine 37-jährige Patientin, die ihren Namen nicht nennen möchte, berichtet: "Ich leide seit neun Jahren unter Schizophrenie. Weder mein Ex-Mann noch meine Verwandtschaft haben das akzeptieren können." Seit anderthalb Jahren lebt die zweifache Mutter in der Eifel. Ihre Kinder sind nach der Scheidung beim Vater geblieben und leben hundert Kilometer entfernt. Etliche Rückfälle hat die 37-Jährige verkraften müssen, fünf Mal war sie während dieser Zeit für jeweils drei Monate in stationärer Behandlung. "Jetzt werde ich nur noch ambulant behandelt, weil ich endlich die richtigen Medikamente bekomme", meint sie. Die Krankheit hat bei ihr schleichend begonnen: Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Nervosität, Gereiztheit. "Auf einmal war ich total verdreht und litt unter Verfolgungswahn, habe meinem Ex-Mann unterstellt, er würde mir heimlich Gift unters Essen mischen. Ich habe auch meinen Freunden nicht mehr getraut, weil ich glaubte, die seien krank und nicht ich", erklärt sie. Die Frau vereinsamte immer mehr. "Die Einsicht zur Krankheit fehlt, und das ist für viele Angehörige ein großes Problem", meint auch Sabine Prinz. Die 46-jährige Krankenschwester weiß, wovon sie redet. Ihr 22-jähriger Sohn Reinhard leidet seit vier Jahren unter Schizophrenie und ist seit August auf unbestimmte Zeit in stationärer Behandlung. Er gehört zu denjenigen, bei denen die Krankheit durch Drogenkonsum noch verstärkt wird. Prinz berichtet: "Alles kam schleichend. Auf einmal wollte er Gedanken lesen können, schrieb Briefe an den Bundespräsidenten. Ich kannte mein eigenes Kind nicht mehr". Der soziale Abstieg sei programmiert gewesen. Reinhard lebte in einer eigenen Wohnung, stand morgens nichts mehr auf, arbeitete nichts, wusch sich nicht, zahlte keine Miete mehr. Seine Mutter fühlte sich machtlos: "Ich hatte Angst, Druck zu machen, weil er dann aggressiv geworden wäre. Meine einzige Chance war, jede Hilfe zu verweigern, damit er so weit abrutschte, dass er in Behandlung musste." Vier Jahre dauerte dieses Hin und Her. Reinhard wurde unter gesetzliche Betreuung gestellt. Zwischenzeitlich wurde er zwei Mal Vater. Seine Mutter hat seine Krankheit zu ihrem Thema gemacht, leitet seither die Angehörigengruppe "Mit psychisch Kranken leben". Außerdem gehört die 46-Jährige zum Psychiatriebeirat im Kreis Daun und ist im Landesverband der Deutschen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie. Prinz berichtet: "Viele Angehörige schämen sich wahnsinnig." Auch in der eigenen Familie wirbt sie stets um Verständnis: "Die Geschwister haben Angst um ihren Ruf und fragen: Wie stehen wir denn da, wenn wir einen Bruder haben, der in der Klapse ist?" Mehr als 50 Kontakte zu Angehörigen hat die Leiterin der Gruppe im Jahr. Energisch kämpft sie um mehr Mut in der Öffentlichkeit: "Die Menschen trauen sich nicht in die Gruppe, sondern wollen immer nur mit mir telefonieren. Dabei sind der Erfahrensaustausch und die Information über die Krankheit so wichtig". Sie gibt Tipps, wo sich Angehörige Hilfe holen können. Denn eines ist laut Prinz klar: "Auf Dauer werden die seelischen Belastungen für die Angehörigen so hoch, dass sie nicht selten selbst zusammenbrechen." Jeden ersten Montag im Monat trifft sich die Angehörigengruppe um 19 Uhr in der Tagesklinik des Gerolsteiner Krankenhauses. Am 1. Dezember referieren Sabine Prinz und Dr. Stefan Thielscher zum Thema "Umgang mit Kranken, die unter schizophrenen Psychosen leiden". Nähere Informationen erteilt Sabine Prinz unter Telefon 06591/4266.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort