Früher Alltag, heute fast vergessen

STEININGEN. (gs) Toni Diewald und Ludwig Weller wollten es noch mal erleben: Den Geruch, der in der Schmiede aufsteigt, wenn sich der heiße Eisenreifen in die Holzfelge beißt, und das Gefühl, ein altes Handwerk auch im Zeitalter moderner Metallverarbeitung noch zu beherrschen.

 Mit Feuereifer bei der Sache: Dass sie alte Technik noch beherrschen, beweisen Ludwig Weller aus Dreis (links) und Toni Diewald aus Steiningen beim Aufziehen eines alten Rades.Foto: Gabi Schüller

Mit Feuereifer bei der Sache: Dass sie alte Technik noch beherrschen, beweisen Ludwig Weller aus Dreis (links) und Toni Diewald aus Steiningen beim Aufziehen eines alten Rades.Foto: Gabi Schüller

Fast wäre ein altes Holzwagenrad zum "alten Eisen" gelandet, gäbe es nicht zwei beherzte Schmiede und einen anhänglichen Eigentümer, der vor Jahren vom Land in die Stadt gezogen ist. Gemeinsam ist ihnen die Erinnerung an die Zeiten vor mehr als einem halben Jahrhundert, als die Ackerwagen hinter den Kuhgespannen mit solchen Wagenrädern ausgestattet waren.Als Dekoration an einer Hauswand

Das alte Wagenrad ist nie ganz vergessen worden. Denn es bekam auch seinen Platz, nachdem es seinen Dienst getan hatte. An einer unscheinbaren Hauswand fristete es viele Jahre sein Dasein als Dekoration. Allerdings faulte zusehends das Holzgestell. Dagegen hatte der Eisenreifen ein "lockeres Leben", denn er sprang fast von der Felge. Früher hieß dies: Das Rad ist "wahn", denn es wurde stark beansprucht beim Fahren mit schweren Lasten über die Feldwege. Dann wurden die Räder zum Schmied gebracht, der die Eisenreifen neu aufzog. Damals ein tägliches Brot für die Dorfschmiede, heute (fast) vergessen. Das marode Wagenrad weckte bei den beiden Schmieden und Freunden Ludwig Weller aus Dreis-Brück und Toni Diewald aus Steinigen Freude am alten Handwerk. Zuerst wurden die Pläne geschmiedet. Nachdem Weller das Holzwerk rundum erneuert hatte, wurde der Termin für das Wieder-Aufziehen des Eisenreifens festgelegt. Das bedarf früher wie heute einiger Vorbereitungen, denn es muss eine geeignete Schmiede mit dem passenden Inventar vorhanden sein. Aber das war kein Problem. Diewald betreibt in Steiningen eine Schmiede und Bauschlosserei, die er aus Freude an der Sache mitsamt seiner Arbeitszeit gerne zur Verfügung stellte. "Man ist ja schon ziemlich aus der Übung mit den ganz alten Handwerksmethoden", sagt Diewald. Er ergänzt aber, dass es doch hin und wieder vorkomme, dass er auf besonderen Wunsch seiner Kundschaft ein Teil in alter Handwerkskunst schmiedet. Gleich zwei Schmiedefeuer hat Toni Diewald angeheizt. Mit besonders guter Kohle, denn die Glut muss 400 bis 500 Grad heiß werden, damit der Eisenreifen die richtige Temperatur zum Ausdehnen bekommt. Immer ein Stück weiter wird der Reifen mit Hilfe von Zangen in der Waagerechten durch die beiden Feuerstellen gedreht, so lange, bis rundum die grau-weiße Farbe des Eisens anzeigt: "Fertig zum Aufziehen." Mit zwei großen Feuerzangen packen Weller und Diewald den Reifen aus dem Schmiedefeuer und ziehen ihn Stück für Stück über die Holzfelge des Wagenrades, das auf einem Dreibock inmitten der weitläufigen Schmiedehalle waagerecht fest aufliegt. Das Eisen beißt sich regelrecht in das Holz der Felge, so dass es an manchen Stellen zu qualmen anfängt, für die beiden Schmiede ein vertrauter Geruch.Klang muss immer gleich gut sein

Anschließend wird das komplette Rad in einem Löschtrog durch eiskaltes Wasser gezogen. Das muss sein, damit der Eisenreifen sich durch den Abkühleffekt zusammenzieht und sich so richtig um die Felge presst. "Dem Löschwasser wurde eine hautheilende Wirkung zugeschrieben", erzählt Weller, deshalb hätten die Leute früher dieses Wasser in den Schmieden abgeholt. Eine gute Stunde dauert die Prozedur. Diewald klopft das Rad anschließend mit dem Schmiedehammer entlang der Lauffläche ab, regelmäßig im Takt. Er und sein Freund schauen zufrieden, denn sie wissen: "Der Klang muss immer gleich sein - dann ist es gut". Nun kann die Reise zum Eigentümer nach Düsseldorf losgehen.

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