"Funktionierendes System der Illegalität"

AHRWEILER. Wer kümmert sich um Oma und Opa, wenn sie ihren Haushalt alleine nicht mehr führen können? Immer öfter springen Polinnen ein, wenn die Familie nicht mehr weiter weiß. Eine Lösung am Rand der Legalität.

Weil immer mehr pflegebedürftige Senioren im Kreis Ahrweiler von illegalen Kräften aus Osteuropa zu Hause betreut werden, wächst der finanzielle Druck auf Pflegeheime und soziale Dienste in der Region. Ihre Auslastungszahlen und Einnahmen sinken - und laufen damit der demografischen Bevölkerungsentwicklung zuwider. Viele Institutionen arbeiten nach eigener Aussage bereits defizitär. Für die problematische Situation machen Betroffene die zunehmende Zahl illegaler osteuropäischer Hilfskräfte verantwortlich.Trotz wachsenden Bedarfs werden Stellen abgebaut

"Bis zu 20 Prozent der Kapazitäten" von Pflegeeinrichtungen bleiben ungenutzt, so ist einem internen Bericht der Kreispflegekonferenz zu entnehmen, zu der sich Krankenhäuser, Altenheime, ambulante Pflegedienste, niedergelassene Ärzte und sonstige im Pflegebereich tätige Organisationen und Personen im Kreisgebiet zusammengeschlossen haben. Die Folge: Trotz wachsenden Bedarfs werden in der Pflege Stellen abgebaut. In der Ausbildung von Pflegekräften übt man sich ebenfalls "in Zurückhaltung". Dabei ist der Bereich Pflege ein tragender Wirtschaftsfaktor der Kur- und Wellnessregion. Derzeit stehen im Kreis Ahrweiler 1800 Betten in 19 Pflegeeinrichtungen zur Verfügung. 1400 Menschen sind hauptamtlich in Pflegeberufen beschäftigt. 1500 pflegebedürftige Personen werden von ambulanten sozialen Diensten versorgt. "20 Prozent dieser Arbeitsplätze sind durch illegale Billigpflege bedroht. Der Stellenabbau hat bereits begonnen", lautet die Bilanz einer Sitzung der Kreispflegekonferenz, wo man bereits von einem gut funktionierenden "System der Illegalität" spricht. "Wir möchten, dass alle unter gleichen Bedingungen arbeiten", fordert ein Teilnehmer dieser Konferenz. "Das betrifft sowohl die Qualität der Pflege als auch die Arbeitsbedingungen - also geregelte Arbeitszeiten und eine menschenwürdige Unterbringung. Manche dieser Beschäftigungsverhältnisse grenzen ja an Leibeigenschaft!" 800 bis 1500 Euro Monatslohn bei ständiger Verfügbarkeit sind keine Seltenheit in der privaten häuslichen Betreuung rund um die Uhr. Die Lohnkosten plus Steuern und Sozialabgaben für eine legale private Pflegekraft schlagen mit 2500 bis 4100 Euro monatlich zu Buche, hat die Caritas errechnet. Die Folgen für das Pflegesystem sind gravierend. Wo bisher lange Wartelisten geführt wurden, verzeichnen Pflegeeinrichtungen jetzt eine Belegung von nur noch 60 bis maximal 90 Prozent. Am stärksten betroffen von der Entwicklung sind ambulante Pflegedienste, die ihren Haupteinsatzort in Privathaushalten haben. Längst herrscht hier der Wettbewerb, werden potenzielle Kunden nicht nur umworben, sondern umkämpft. In Niederzissen hat der Zoll bereits eine Razzia bei einem so genannten Verteiler durchgeführt, der Polinnen in private Haushalte vermittelt. "Sein Anwesen hat er mit Zäunen und Hunden geschützt, da traut sich keiner hinein", berichtet ein professioneller Insider. Weil spezialisierte Schleuserbanden vor allem in ländlichen Gebieten wie dem Brohltal "Klinken putzen" gehen, arbeiten die Pflegedienste inzwischen gern unauffälliger.Ein Verdacht reicht nicht aus für eine Durchsuchung

Sie nehmen die Werbeaufdrucke von ihren Fahrzeugen, um nicht erkannt und bis zur Haustür eines Patienten verfolgt werden zu können. Denn dort werden Patienten von "Pflege-Bossen" regelrecht abgeworben. Allein in der Region Unteres Brohltal sind 40 Haushalte bekannt, die eine polnische Pflegekraft beschäftigen. Ein Informant spricht von "kriminellen, mafiosen Banden", die hier agieren. Solchen illegalen Beschäftigungsverhältnissen auf die Spur kommen will Wolfgang Hohl. Er ist Mitarbeiter des Hauptzollamtes in Koblenz, das als übergeordnete Ordnungsbehörde im Regierungsbezirk Fälle von Schwarzarbeit aufzudecken versucht. "Wir gehen konkreten Hinweisen nach, sind aber auf Hilfe angewiesen", so Hohl. "Ein Verdacht allein genügt nicht, um eine Wohnung zu betreten. Dazu braucht es einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss." Illegale Beschäftigung ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit maximal 5000 Euro beim Arbeitnehmer geahndet wird. Für den Arbeitgeber kann die Strafe je nach Beschäftigungsdauer bis zu 500 000 Euro betragen. Allein im Kreis Ahrweiler kam es in den vergangenen sechs Monaten zu 70 solcher Anzeigen. "90 Prozent der Hinweise, denen wir nachgehen, sind Treffer. Erst kürzlich wurde gegen vier von fünf überprüften Haushalten im Kreis ein Verfahren eingeleitet", gibt Hohl weiter Auskunft. Während die Kreispflegekonferenz unter dem Motto "Illegal ist unsozial" für legale Beschäftigung und die eigenen Einrichtungen wirbt, weiß man in der für Vermittlung zuständigen Agentur für Arbeit in Mayen keinen Weg in die Legalität zu weisen. "Es gibt keine Arbeitserlaubnis für ausländische Pflegekräfte", erklärt die dortige Pressesprecherin Doris Litz. Ein entsprechendes Vorhaben ist an der Lobby der ambulanten Pflegedienste gescheitert. Bislang erkennt das Gesetz daher nur so genannte ausländische Haushaltshilfen an. Weil diese rechtliche Schwachstelle die eigene Existenz bedroht, wagen ambulante Dienste indes die Flucht nach vorn. So bietet die Caritas bereits eine legale Version der 24-Stunden-Betreuung im häuslichen Umfeld an. Deren Sozialstation in Brilon, einer Kurstadt im Sauerland, hat seit 1. Oktober vergangenen Jahres einen solchen Dienst im Programm. Geschulte Pflegekräfte werden dafür über eine Zeitarbeitsfirma vermittelt. Die Kosten belaufen sich auf 125 Euro pro 24 Stunden.

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