Gruehns letztes Geschäft

DAUN. (red) Heute startet das zehnteilige TV -Krimi-Rätsel. In den kommenden zwei Wochen lesen Sie jeden Tag ein weiteres Kapitel der für Sie von Krimi-Autor Ralf Kramp verfassten Geschichte. Wenn Sie am Ende den Fall richtig lösen und uns per Postkarte zusenden, haben Sie die Chance, einen Tag lang bei einer WDR-Tatort-Produktion in Köln dabei zu sein. Außerdem gibt es mehrere handsignierte Krimi-Bücher von Jaques Berndorf und Ralf Kramp zu gewinnen. Viel Spaß beim Lesen und Kombinieren!

"Flüchtig betrachtet sah er einfach nur aus wie ein harmloser, älterer Herr im Lodenmantel. Ein Spaziergänger, der sich vornüber gebeugt einen Blick über die steinerne Brüstung des Turmes hinweg in die Tiefe erlaubte. Der Spazierstock stand, säuberlich an den kalten Stein gelehnt, neben ihm, die behandschuhten Hände ruhten ausgebreitet auf der Mauer, der Kopf ragte über den Rand der Brüstung hinaus. Seine Hornbrille, das ahnte ich, könnte ich am Fuße des Turmes im Gestrüpp finden, wenn ich wollte, und das schüttere Haar streichelte ihm ein schwacher Wind immer wieder in die Stirn. Ein genauerer Blick aber förderte das Ungeheuerliche zutage: Gruehn war tot. Ein kleiner See aus Blut hatte sich zu seinen Füßen gebildet, und auf der Wölbung seines Rückens, verborgen in den Falten seines Lodenmantels, war eine dunklere Stelle zu sehen. Als ich näher trat, konnte ich erkennen, dass der Stoff zerfetzt war. Von einem Messer womöglich. Ich zwang mich, den alten Mann zu berühren, schob meine zitternde Hand an die Stelle seines Halses, an der ich seinen Puls hätte ertasten können, und spürte nichts als Kälte. Bewegungslose, starre Kälte. Gruehn musste schon eine ganze Weile tot sein. Ich atmete tief die kühle Morgenluft ein und ließ den Blick schweifen. Die Aussicht vom Dronketurm hinein in einen heranbrechenden Herbstmorgen ist eines der beeindruckendsten Schauspiele, die es in der Eifel gibt. Die sanftgewellten Hügel bis hinunter zum Moseltal leuchteten in sanften Pastelltönen. Über den Maaren waberte der Frühnebel. Eigentlich war dies ein Moment von geradezu vollkommener Friedfertigkeit, und doch befand ich, Frank Sevenich, mich hier unmittelbar neben einer Leiche. Es war nicht so, dass ich mir das für Gruehn nicht tatsächlich gewünscht hatte. Wie oft hatte ich mir erhofft, er möge einfach von der Bildfläche verschwinden, ein Unfall möge ihn aus dem Verkehr ziehen oder etwas ähnliches, aber das hier ... Zu einer solchen Gewalttat wäre ich nicht fähig gewesen. Ich hätte mich niemals mit einem Mord aus meiner misslichen Lage befreien können. Und nun sah alles so aus, als habe dies bereits ein anderer für mich erledigt. Ich wusste, dass da noch andere waren. Drei von ihnen hatte ich mit eigenen Augen beobachtet, wie sie sich mit ihm trafen, so, wie ich es tat. Sie begegneten ihm an einem völlig unverfänglichen Ort, tauschten knappe Worte mit ihm aus. Und nur jemand, der wusste, was ablief, konnte erkennen, dass sie ihm heimlich etwas zusteckten. Der alte Mann hatte uns alle in der Hand gehabt. Er wusste Dinge, die niemand erfahren durfte. Und er verdiente viel Geld damit. Meine Linke krampfte sich in meiner Manteltasche um den Umschlag mit den Banknoten. Ich warf einen letzten Blick auf das blutige Szenario, und dann beschlich mich das Gefühl, jemand könne mich beobachten. Mit einem Mal bekam ich Angst. Was war, wenn man mich für Gruehns Mörder hielt? Morgen lesen Sie das nächste Kapitel.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort