"Hier sagt keiner die Wahrheit"

DAUN. Je zwei Angeklagte und Verteidiger, je ein Richter und Staatsanwalt, sechs Zeugen und 20 Zuhörer – fertig ist die Mixtur für eine außergewöhnliche Verhandlung vor dem Dauner Amtsgericht. Die Untreuevorwürfe gegen zwei ehemalige Gerolsteiner Amtsleiter haben für sechs unterhaltsame Stunden mit tiefen Einblicken ins frühere Rathaus-Leben der Brunnenstadt gesorgt.

Um 9.04 Uhr begann am Dauner Amtsgericht ein Prozess, wie es bisher noch keinen im Kreis Daun gegeben hat. Bereits eine dreiviertel Stunde vorher waren die ersten Zuschauer gekommen, um die besten Plätzen zu ergattern. Einer meinte beim Rundumblick: "Sieht irgendwie wie eine Kapelle aus, mit dem großen Kreuz hintern Richteraltar, den Stuhlreihen und dem komischen Lichteinfall." Diese Assoziation sollte keine Wirklichkeit werden. Der Zeugenstand wurde kein Beichtstuhl, und Richter Hans Schrot erteilte keine Absolutionen. Zuhörer Hermann Schröder sprach nach den Anhörungen der Angeklagte und Zeugen etlichen weiteren Gerolsteiner Bürger im Publikum aus der Seele, als er vermutete: "Hier sagt keiner die Wahrheit." Die vielen Gedächtnislücken der Beteiligten schienen diese Aussage zu bestätigen. Während der sechsstündigen Verhandlung kam es wieder zu Unmutbekundungen aus dem Publikum. Als sich Karl Marschall noch zierte, die Frage des Staatsanwalts zu beantworten, ob die Aufstockung seiner VHS-Geschäftsführer-Aufwandsentschädigung als Abgeltung für die Besoldungsdifferenz zur Altersteilzeit zu werten sei, reagierten drei Zuhörer spontan und sagten lauten "Ja". In der Diskussion um die Überstunden- und Urlaubsabrechnung für den ehemaligen Amtsleiter Othmar Zimmermann wechselten die Reaktion im Publikum zwischen Belustigung und offenkundiger Neugier. Als Staatsanwalt Peter Fritzen meinte: "Ein Beamter muss es doch hinterfragen, wenn er extra Geld kriegt", kicherten einige. Der halbstündige Auftritt von Ex-Bürgermeister Adolf Rodermann wurde mit 80 Minuten von seinem ehemaligen Büroleiter Klaus Jansen überboten. Als Rodermann Fehler einräumte, begaben sich etliche Zuhörer in Lauerstellung. Sie wurden belohnt. Jansen lieferte das volle Programm: Gezänk mit dem Staatsanwalt, Referat seiner Beamtenlaufbahn sowie Gefühle zwischen Wut und Um-Verständnis-Heischend. Ein Zuhörer resümierte: "Ich kann Jansens Aufgewühltsein verstehen. Er wird als Zeuge geladen und dann quasi als dritter Angeklagter vom Staatsanwalt in die Enge getrieben." Ein ehemaliges Mitglied des Verbandsgemeinderats in der Rodermann-Ära bewertete die zwei Auftritte völlig anders. Er sagte: "Nach meinem Gefühl hat Rodermann nicht alles gesagt, was er wusste, und Jansen hat so gewirkt, als ob er was zu vertuschen hat." Der amtierende Bürgermeister Matthias Pauly sah das Image seines Rathauses nicht gefährdet und hielt dagegen: "Seit 2002 haben wir an vielen Stellen konkret angesetzt, um die Qualität zu verbessern."

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