"Ja, ja, die Bahn: Die habe ich auch schon überlebt"

NOHN. (fs) Die Ortsgemeinde Nohn bereitet sich auf ein seltenes Fest vor: Johanna Müller wird heute 100 Jahre alt.

 Liest täglich den TV und erfreut sich guter Gesundheit: Johanna Müller aus Nohn, die heute 100 Jahre alt wird.Foto: Felicitas Schulz

Liest täglich den TV und erfreut sich guter Gesundheit: Johanna Müller aus Nohn, die heute 100 Jahre alt wird.Foto: Felicitas Schulz

"Ich kann mich nur an einen erinnern, der dass hier auch geschafft hat." Als Kind, so erzählt Johanna Müller, habe sie oft erlebt, wie die Kirchgänger aus Trierscheid, Senscheid und Dankerath die Gelegenheit genutzt hätten, im Nohner Kolonialwarenladen und in der Metzgerei Dockter einzukaufen.Sei es ein kalter, schneereicher Winter gewesen, so konnte es passieren, dass die Rocksäume der Frauen und die Hosenbeine der Männer mit Schnee und Eis verkrustet waren. Dann seinen die Leute "zum Abtauen und Aufwärmen in unsere Küche gekommen. "Schon als Kind musste ich helfen, das Schmelzwasser aufzuputzen."Johanna Müller lebt seit ihrer Eheschließung vor 80 Jahren im selben Haus und wird von der rüstigen 78-jährigen Tochter Maria versorgt. Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor, wovon zwei im Kleinkindalter starben.Die Beschäftigung bei der Bahn und eine kleine Landwirtschaft ernährte die Familie, erzählt Sohn Josef, und seine Mutter fügt hinzu: "Ja, ja, die Bahn, die habe ich auch schon überlebt."Viel Abwechslung habe es in ihrer Jugend nicht gegeben. An den Sonntagen ging man mit Freundinnen an die Nohner Mühle, wo ein Gartenhäuschen stand. Tochter Renate berichtet, dass die Mutter Gedichte, die sie zu Kaisers Geburtstag aufsagte, noch von Anfang bis Ende weiß. Mit einer Lebendigkeit, die man dieser kleinen Frau von 100 Jahren nicht mehr so ohne Weiteres zutraut, nennt sie zwei Titel ("In Lüttich war's auf blutigem Feld" und "Die Trompete von Thionville") und sagt schelmisch: "Noch gestern habe ich es dem Herrn Pastor aufgesagt, der staunte. Heute gönne ich mir eine Pause."Überhaupt ist ihr die Erinnerung an längst vergangenen Zeiten wach geblieben: "Im Ersten Weltkrieg liefen die Dorfleute, meist die jüngeren, jeden Abend zum Heiligenhäuschen neben der Nohner Mühle, um zu beten. Auch zur Bahn nach Ahütte sind wir gelaufen und winkten den Soldaten, die zur Front fuhren."Johanna Müller sagt überdies, "dass ich noch viel mehr aus meinem 100-jährigen Leben erzählen kann". Und nach einem Blick nach draußen zaubert der Eindruck der Winterlandschaft ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie erzählt: "1936 war die Kommunion früh, überall lag noch Schnee. Da packte ein Vater aus einem Nachbardorf seinen Sohn in den Rucksack, und mit trockenen Kleidern gelangte der Junge zu seiner ersten heiligen Kommunion in unsere Pfarrkirche. Heute kennt man ja keine Winter mehr in der Eifel."Auf die Frage, was das Geheimnis ist, um 100 Jahre alt zu werden, winkt Johanna Müller ab: "Habe nie Medikamente genommen". Die Töchter ergänzen: "Unsere Mutter war stets bescheiden, sie isst und wäscht sich noch allein." Sohn Josef erinnert sie an die schwere Zeit im Zweiten Weltkrieg, und die Jubilarin berichtet: "Besonders schlimm war es 1944, als an Heiligabend die Amerikaner unser Dorf bombardierten, alle Fenster gingen kaputt, kein Dach mehr über dem Kopf, Ausquartierung, viel Not und Elend." Die Wehrmacht habe im Dorf eine Verpflegungsstation unterhalten. Dort lagerten Spirituosen, Tabak und Schokolade. Und als die Amerikaner die Depots auflösten "lief alles hin". 1969 starb ihr Mann Peter und konnte die Entwicklung des Dorfes und die Vergrößerung der Familie nicht mehr miterleben.Mit ihren drei Söhnen, zwei Töchtern, acht Enkeln und zehn Urenkeln sowie insgesamt 100 Gratulanten steht heute im Gemeindehaus das Feiern im Mittelpunkt.

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