Mehr als Nadel und Faden

GEROLSTEIN/PELM. (gs) Olga Löwen: Sie ist eine junge Frau, die im Sommer sehr erfolgreich ihren Gesellenbrief in einem zurückgehenden Handwerkszweig gemacht hat. Die 24-Jährige ist Damenschneiderin – mit Leib und Seele. Wie ihre vor einem Jahr verstorbene Meisterin.

Stich für Stich führt sie den lachsfarbenen Stoff sicher über die Stichplatte, Nadel und Fadenverlauf konzentriert im Blick. Kurz lässt sie den Anlasser der Nähmaschine los. Hält inne für ein Foto und ein kurzes Gespräch. "Ja", sagt Olga Löwen, "der Beruf macht mir richtig Freude, ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht." Im Sommer hat die 24-Jährige aus Pelm zusammen mit ihrer ehemaligen Kollegin Angelina Baldino die Gesellenprüfung zur Damenschneiderin in Trier abgelegt. Wie im Fluge seien die drei Lehrjahre vergangen, wobei es auch einen leidvollen Abschnitt gegeben habe, blickt Olga Löwen zurück. Diese Zeit war vor einem Jahr, als ihre Ausbilderin, die Damenschneidermeisterin Dorothea Schirmer, nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 40 Jahren starb. Ihre Mutter Gerda Schirmer leitet seitdem das Näh- und Stoffgeschäft alleine weiter und hat auch die beiden Lehrmädchen ihrer Tochter erfolgreich zur Gesellenprüfung geführt. Olga Löwen freut sich, dass mit ihrer Ausbildung und Gesellenprüfung alles gut geklappt hat und dass sie an ihrem geliebten Arbeitsplatz bleiben kann. Angelina Bardolino bereite sich derzeit im Studium zur Designerin vor, erzählt Gerda Schirmer. Die Zukunft ihres Handwerks sieht Gerda Schirmer, seit 50 Jahren im Beruf, eher skeptisch. Rückläufige Ausbildungszahlen im Damenschneiderhandwerk durch fehlende Ausbildungsbetriebe und Meister ließen keine gute Prognose zu. Trotzdem ist sie sicher: "Die Menschen brauchen uns." Sie berichtet, dass heute weniger Neuanfertigungen von Konfektionen zum Tagesgeschäft einer Schneiderei gehören als Änderungswünsche der Kleidung. Zum Thema Ausbildung erzählt sie, dass ihre Tochter Dorothea die einzige Ausbilderin in der Region bis hin nach Trier gewesen sei. Dorothea Schirmer war besonders kreativ-praktisch veranlagt und liebte ihren Beruf. Sie hatte einen besonderen Blick für die persönlichen Dinge, die die Menschen umgeben, ob bei der Kleidung oder bei Wohnaccessoires. Und sie hatte die Gabe, die Sachen auf wunderbare Weise zu arrangieren und so den Menschen ihre Wertschätzung zu zeigen. Ihre sieben Lehrmädchen lagen ihr am Herzen. Wie Olga Löwen, die sich sehr über ihre Übernahme als Gesellin in der Nähecke Schirmer freut, und die viel in ihrem familiären Ausbildungsbetrieb gelernt hat. Fachlich und menschlich.

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