Sexualstraftäter bleibt vorerst frei

KARLSRUHE/DAUN. Auch die Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bringt keine Erlösung: Ein verurteilter Sexualstraftäter aus dem Kreis Daun bleibt weiter auf freiem Fuß, obwohl er Tür an Tür mit einem seiner Opfer lebt.

"Wir haben langsam keine Nerven mehr für diesen Affenzirkus. Unser Sohn kommt mit der unerträglichen Situation, der täglichen Konfrontation, nicht mehr zurecht", erklärt die Mutter eines der vier Opfer. Ihr unmittelbarer Nachbar, ein mittlerweile 64-jähriger Rentner, hatte die Jungen (damals im Alter von acht bis 15 Jahren) von 1994 bis 2000 sexuell missbraucht - 22 Mal. In 16 Fällen befand das Landgericht Trier im November auf schweren sexuellen Missbrauch (der TV berichtete).Ein Opfer war ein Jahr älter als angenommen

Dass der Rentner die 22 Taten begangen hat, hat nun auch der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt. Allerdings gab der BGH dem zu sechs Jahren und drei Monaten verurteilten Sexualstraftäter bei der Revision teilweise Recht. In drei der 22 Fälle war die Große Jugendstrafkammer des Landgerichts von einem falschen Alter eines der Opfer ausgegangen. Der Junge war zum Tatzeitpunkt 15 Jahre und nicht wie angenommen 14 Jahre alt, er war damit im Sinne des Gesetzes kein Kind mehr, sondern ein Jugendlicher. "Das wurde wahrscheinlich übersehen", erklärt Armin Hardt, Pressesprecher des Trierer Landgerichts. Die fraglichen drei Taten müssen nun vor einer anderen Kammer des Landgerichtes neu verhandelt werden. Der Jugendliche muss nicht mehr vernommen werden, weil der BGH alle Strafen "in der Beweiswürdigung als rechtsfehlerfrei" anerkannt hat. Der BGH hat aber die Gesamtstrafe (sechs Jahre und drei Monate) aufgehoben, da sie sich aus allen Einzelstrafen zusammensetzt. "Die anderen 19 Einzelstrafen bleiben bestehen. Und wenn die drei neuen feststehen, muss eine neue Gesamtstrafe gebildet werden", erklärt Hardt und sagt nach einem Blick ins Gesetz, dass "im Grundfall das Strafmaß bei sexuellem Missbrauch an Jugendlichen oder Kindern gleichermaßen Strafen von bis zu fünf Jahren vorsieht".Familie des Opfers bittet um rasche Bearbeitung

Ursprünglich war schon bei der Anzeige der Straftaten im Februar 2002 Haftbefehl gegen den Rentner erlassen worden. Gegen Auflagen wurde dieser aber vorläufig außer Vollzug gesetzt. Weil der Mann bisher nicht gegen die Auflagen verstoßen hat und das Gesamturteil noch nicht rechtskräftig ist, bleibt er auf freiem Fuß. Die Nachbarin schimpft: "Der Täter hat bei der deutschen Justiz mehr Rechte als das Opfer. Keiner versteht, warum der noch frei herum läuft, obwohl ihm jetzt sogar vom höchsten Richter Deutschlands alle 22 Taten angelastet werden." Sie hat am Wochenende einen Brief ans Landgericht geschrieben und um rasche Bearbeitung gebeten. Pressesprecher Hardt verspricht: "Wir werden alles daran setzen, dass es kurzzeitig terminiert wird. Aber vorrangig müssen die Sachen, wo jemand in Untersuchungshaft sitzt, bearbeitet werden." Hintergrund: Werden Prozesse nicht innerhalb von sechs Monaten nach Beginn der Untersuchungshaft begonnen, muss der Beklagte wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Dennoch: Weil es sich "hier aber nur um ein kleines Spektrum handelt", sieht er gute Chancen für eine kurzfristige Entscheidung. Doch selbst wenn die neue Gesamtstrafe feststeht, kann die Nachbarfamilie des Täters noch immer nicht aufatmen.Neuer Prozess macht neue Revision möglich

"Der Angeklagte kann wiederholt für diese drei Fälle Revision einlegen", räumt Gerichtssprecher Hardt ein. Die Mutter des Opfers aus dem Nachbarhaus versteht die Welt nicht mehr: "Sollen wir etwa hier die Koffer packen und alles verkaufen, weil der Staat nix tut?" Hinter ihren verzweifelten Fragen steht vor allem die Angst um die Zukunft ihres Sohnes: "Wenn das so weitergeht, schafft er seine Lehre nicht."

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