Tiefer Blick ins Seelenleben

300 Briefe, Feldpostbriefe und Postkarten, die sein Vater von der Front an seine Frau und die Kinder geschrieben hat, sind die Basis des Buches von Gerd Becker. Für ihn und seine Schwestern ist die unverhoffte, späte Erinnerung an den Vater nachträglich ein tiefer Blick in sein Seelenleben.

 Hat seinem Vater sein neuestes Buch gewidmet: Gerhard Becker. TV-Foto: Helmut Gassen

Hat seinem Vater sein neuestes Buch gewidmet: Gerhard Becker. TV-Foto: Helmut Gassen

Daun. Sie waren immer ein Geheimnis einer Ehefrau und Mutter. Von der Existenz der väterlichen Briefe wussten weder Gerd Becker noch seine beiden älteren Schwestern Helga und Gisela. Erst drei Jahre vor ihrem Tod erzählte Gretchen Becker ihrem Sohn Gerhard von den Briefen und Postkarten ihres Mannes, die dieser über 60 Jahre zuvor von der Front nach Hause geschrieben hatte. Die Mutter hielt sie in einem Wäschefach versteckt.

"Warum sie nie über die Briefe gesprochen hat? Ich glaube der Grund war, dass sie bis zuletzt darunter gelitten hat, dass er gefallen ist. Ich war ganz aus dem Häuschen, als ich die viele Post gesehen habe", erzählt Becker.

Im Spätsommer 2006 hält er die 300 Briefe, Feldpostbriefe und Postkarten in Händen, die sein Vater Gerhard in den Kriegsjahren 1939/1940 und 1944/1945 als Soldat von der Front an seine Familie in Meisburg geschrieben hat. Er wurde 1907 in Meisburg geboren. 1936 heiratete der Industriearbeiter, Landwirt, Maurer und Waldarbeiter die Deudesfelderin Gretchen Pauly. Mit 32 Jahren musste der Eifeler in den Krieg ziehen und erlebte ihn wie viele andere auch zuerst als Triumph, später mit Hoffnung und schließlich als Wahnsinn.

Beim Lesen der Briefe erschließt sich Gerd Becker ein außergewöhnliches dokumentarisches Zeugnis über den Zweiten Weltkrieg, das Leben des Vaters und der Kameraden an der Front und das Schicksal der Familie. In einer außergewöhnlich einfühlsamen Sprache schreibt sein Vater über die Liebe zu seiner Frau und zu seinen Kindern, über die Menschen, die ihn umgeben, über die Ereignisse an der Front und über seine Ängste und Hoffnungen. Er tauscht sich über die Familie und den Bauernhof aus, für den die Frau die Verantwortung übernommen hat. Seine Schilderungen über ein von Zwängen bestimmtes Leben zeichnen ein manchmal fröhliches, meist jedoch nachdenkliches Bild.

Geradezu spürbar sind seine Sorgen um die Familie, um seine Frau, zunächst mit einem, dann mit zwei Kindern, die Sorge um die Mutter, die Pflegetochter, die Schwiegermutter und später um das dritte Kind, das auf dem Wege ist, das Licht der Welt zu erblicken. Er schreibt von Heimweh, von Sehnsucht und von der Hoffnung, zu seinen geliebten Menschen zurückkehren zu können, aber auch davon, dass das alles nicht gut enden könne. Die Töchter und der Sohn erhalten einen tiefen Einblick in das Seelenleben des Vaters, in die fast verzehrende Liebe zu seiner Frau und zu seinen Kindern. Spät, aber nicht zu spät, lernen sie ihn als einen besonderen Menschen kennen. "Beim Lesen habe ich oft gedacht, ich hätte das Drehbuch zu einem Film. Besonders die Briefe, in denen vom dritten Kind, also mir, die Rede ist, haben mich sehr bewegt", erzählt Becker.

Am 2. September 1944 schreibt der Soldat von der Ostfront in Polen über eine mögliche Räumung des Saarlandes wegen der heranrückenden Alliierten: "Wir müssen und wir werden siegen. Dass der Krieg aber nicht mehr lange dauert, davon bin ich überzeugt". In seinem Brief vom 22. September 1944 heißt es: "Noch ist der Krieg nicht verloren. Es kann und darf eben nicht sein".

Seine Sehnsucht nach einem Ende des furchtbaren Krieges drückte der Soldat mit einem eindrucksvollen Satz aus, den er am 18. November 1944 von der Front in Polen schrieb: "Ich wünschte, auf einen Schlag wären alle Räder viereckig, dann müsste es doch ein Ende geben". Als der Vater Ende März 1945 in Tschechien fiel, war Gerhard junior - von dessen Geburt er nicht mehr unterrichtet werden konnte - 17 Tage alt.

Fantastisches Zeitdokument



Gerd Becker beschäftigte sich anderthalb Jahre fast ausschließlich mit den Briefen, die über Monate seine Gedanken beherrschen. Er geht beim Lesen all der Briefe durch ein Wechselbad der Gefühle. Manchmal mit einem Lächeln oder Lachen und sehr oft mit Tränen in den Augen, liest er sich in die mehr als fünfhundert Seiten hinein und durch sie hindurch.

"Meine beiden Schwestern und ich haben uns auch gefragt, ob wir die Briefe veröffentlichen sollen und waren der Meinung: Wir können und müssen es, weil sie ein so fantastisches, historisches Zeitdokument sind". Buchvorstellung: Das Buch hat 252 Seiten, zahlreiche Abbildungen und ist zum Preis von 19,90 Euro zu erwerben. Am Freitag, 24. Oktober, um 20 Uhr findet im Forum Daun die öffentliche Buchvorstellung und Autorenlesung von Gerhard Becker statt. Am Samstag, 25. Oktober, um 20 Uhr wird das Buch im Bürgerhaus in Meisburg vorgestellt.

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