Wenn das Maar "brüllt"

SCHALKENMEHREN. Frostige Grade und ein zugefrorenes Maar – bei diesem Anblick fällt unserem Leser Alois Mayer diese Geschichte ein:

Noch lange nicht in jedem Jahr frieren die Maare zu. Es müssen schon viele sehr froststarke Wintertage sein, die die Wasseroberfläche mit einer schneeweißen Eisschicht zudecken. Spaziergänger stehen dann an den Ufern, betrachten die Eispracht und denken sicher an das Gedicht, das sie dereinst in der Schule lernten: "Gefroren hat es heuer noch gar kein festes Eis. Ich will es einmal wagen, das Eis, es muss doch tragen." Warnschilder verkünden: "Betreten der Eisfläche verboten. Lebensgefahr!" Und da doch Verbote besonders stark locken, wagen sich einige auf die Eisfläche, tasten sich vorsichtig heran, werden waghalsiger, überqueren das Maar oder nutzen die Gelegenheit, zu schlittern, Schlittschuh zu fahren oder Eishockey zu spielen. Gleich wie, je mehr man sich der Mitte des Maares nähert, umso ängstlichere Gefühle befallen einen. Viele Tiefenmeter liegen unter den Füßen. Und dann ganz plötzlich, in der Stille der winterlichen Einsamkeit ein Grollen, ein Rollen, ein Knistern und Knirschen, ein dumpfer Knall wie von einer abgeschossenen Kanone. Woher nur diese gänzlich ungewohnten Töne? "Das Maar brüllt!", sagen die Einheimischen. "Das ist ein gutes Zeichen. Je mehr es brüllt, umso dicker und sicherer ist die Eisschicht." Das beruhigt zwar etwas, aber freiwillig möchte man dann doch nicht das brüllende Maar hören - zumindest nicht mehr einsam und allein inmitten der Eisfläche. Aufsteigende Luft und Gasblasen der vulkanischen Seen haben zwischen der Eisdecke und dem darunter liegenden Maar eine Luftschicht gebildet, die herausdrängt und damit das Grollen verursacht. Spannungsrisse in dem dicken Eis sind nicht laut, aber ihr Ton verstärkt sich hinunter in die Tiefe des Maars, bricht sich an den Kraterwänden und dringt dann hinauf wie wütendes, warnendes Brüllen, wie ein peitschender Pistolenschuss. Physikalisch lassen sich diese unheimlichen Geräusche leicht erklären, aber psychisch wirkt das ungewohnte und unheimliche Geräusch noch ziemlich lange nach. Text und Foto: Alois Mayer

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort