"Wir sind in einer Selbstblockade"

Daun/Gerolstein · Zum Stichtag 1. Juli hat es in Rheinland-Pfalz mehrere Zusammenschlüsse von Verbandsgemeinden gegeben. Der Kreis Vulkaneifel war davon noch nicht betroffen, aber das Thema Fusion steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Der TV-Redakteur Stephan Sartoris hat mit Landrat Heinz-Peter Thiel über die aktuelle Situation gesprochen.

Daun/Gerolstein. Der Rat der Verbandsgemeinde (VG) Obere Kyll hat sich mehrheitlich für einen Zusammenschluss mit der VG Prüm ausgesprochen. Allerdings wollen einige Orte nicht mitgehen, beispielsweise Steffeln, das einen Anschluss an die VG Gerolstein favorisiert. Und der Kreis? Dessen höchster Repräsentant, Landrat Heinz-Peter Thiel, hat große Bedenken, was die Abwanderungspläne der VG Obere Kyll angeht, sagt er im Gespräch mit TV-Redakteur Stephan Sartoris.

Das Thema Kommunalreform sorgt weiter für Unruhe in Teilen des Kreises. Angespannte Atmosphäre an der Oberen Kyll nach der privat organisierten Bürgerbefragung in Gönnersdorf, die ein deutliches Ergebnis pro VG Gerolstein ergeben hat. Wie werten Sie die derzeitige Situation?
Thiel: Ich sehe die jüngste Entwicklung mit Sorge, weil ich befürchte, dass man sich nicht mehr sachlich mit dem Thema auseinandersetzt. Es gibt Spannungen zwischen ehemaligen Verhandlungspartnern, die eine einvernehmliche Lösung sicher nicht erleichtern.

Um zu einer Lösung zu kommen, sofern das überhaupt möglich ist, wird es auch langsam zeitlich eng, oder?
Thiel: Wir haben einen Zeitpunkt erreicht, in dem eigentlich eine zukunftsorientierte interkommunale Zusammenarbeit im Kylltal ansteht. Tatsächlich aber sind wir in einer Selbstblockade. Dabei müsste es im Interesse aller Bürger in dieser Region liegen, dort eine neue Kommune aufzubauen, die dem demografischen Wandel entgegenwirkt und auch Finanzkraft schafft, um den Aufgaben einer kommunalen Selbstverwaltung in den nächsten bis zu 30 Jahren zu entsprechen.

Die VG Obere Kyll hat aber doch schon Fakten geschaffen. Sie will bekanntlich entsprechend einem mehrheitlichen Ratsbeschluss komplett in die VG Prüm wechseln. Und das Land hat gesagt: Okay, das tragen wir mit. Was gibt es da noch groß zu reden?
Thiel: Mich stört, dass die Bereitschaft der VG Gerolstein, auch einen deutlichen Anteil der Schuldenlast der VG Obere Kyll zu übernehmen, meiner Einschätzung nach komplett in der laufenden Diskussion ausgeblendet wird.

Geschlossen ist die Front an der Oberen Kyll nicht. Steffeln, Birgel und Lissendorf wollen lieber in die VG Gerolstein als nach Prüm. Und auch die - wenn auch umstrittene - Befragung in Gönnersdorf ist doch eindeutig pro Gerolstein ausgefallen. Wie weit spielt das aus Ihrer Sicht eine Rolle?
Thiel: Aus meiner Sicht gibt es eine starke Anbindung der Orte im südlichen Teil der Verbandsgemeinde Obere Kyll an Hillesheim und Gerolstein. Andere orientieren sich nach Prüm. Es gibt entsprechende Voten von Bürgern, und die sind zu respektieren. Das sollte aber auch für die Ergebnisse von Befragungen in den Dörfern im Süden der Verbandsgemeinde gelten.

Also auch die in Gönnersdorf?
Thiel: Ja. Es ist meiner Meinung auch eine demokratische Entscheidung, die wie die in anderen Orten akzeptiert werden sollte. Darauf basierend würde ich mir wünschen, dass die Ortsgemeinde sich dem Bürgervotum öffnet und Alternativen mit der VG Gerolstein prüft.

Was aber dem Beschluss des Rats der VG Obere Kyll widerspricht.
Thiel: Dem Beschluss des Rats haben aber nicht alle Gemeinden der Oberen Kyll zugestimmt. Es gibt also auf dieser Ebene keine Geschlossenheit, dass alle nach Prüm wollen.

Bekanntlich hat es Verhandlungen der drei Verbandsgemeinden gegeben, ohne Ergebnis. Gerolstein und Hillesheim sind ausgestiegen, da kann es doch nicht überraschen, dass sich die Obere Kyll nach einer Alternative umgeschaut hat. Schließlich ist sie zur Fusion verdonnert.
Thiel: Die VG Gerolstein ist aber wieder offen für einen Fusionsprozess. Denn dort hat man erkannt, dass die VG in zehn bis 20 Jahren auch zu klein sein wird und es deshalb heute gilt, eine zukunftsfähige größere VG zu schaffen. Ich bin sicher, dass die VG gerne bereit sein wird, die Orte, die sich pro Gerolstein aussprechen, aufzunehmen.

Seit Ihrem Amtsantritt vor gut 18 Monaten haben Sie viele Konflikte gelöst. Stoßen Sie aber in diesem emotional aufgeladenen Bereich nicht an Ihre Grenzen?
Thiel: Es ist mir im September 2013 gelungen, die Verbandsgemeinden Obere Kyll, Hillesheim und Gerolstein zu einem Gespräch beim Innenminister Lewentz in Mainz zu bewegen. Dabei wurde ein guter Ansatz für einen Zusammenschluss der drei Verbandsgemeinden erarbeitet.

Warum ist nichts daraus geworden?
Thiel: Wegen widersprüchlicher Beschlussfassungen in den Verbandsgemeinden und weil Roger Lewentz entgegen meiner Erwartung Anfang des Jahres die Prümer Offerte an die Obere Kyll mit einem Ministerschreiben unterstützt hat. Dieses Schreiben blockiert politisch den Weg für alle Alternativen. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Obere Kyll und Hillesheim sich noch einmal mit der Option Zusammenschluss mit Gerolstein befasst hätten. Das ist leider nicht mehr zum Tragen gekommen.

Rechtliche Einflussmöglichkeiten haben Sie ohnehin nicht, oder?
Thiel: Als Landrat kann ich erst eingreifen, wenn es um eine Veränderung der Kreisgrenzen geht.

Was de facto doch geschieht, wenn die Obere Kyll nach Prüm geht. Oder wie werten Sie das juristische Konstrukt, dass die Orte der Oberen Kyll trotz des Zusammenschlusses weiter zum Kreis Vulkaneifel gehören sollen?
Thiel: Die vorgesehene Fusion ist ein erheblicher Einschnitt in die Integrität des Kreises. Sie hätte Auswirkungen auf die in den kommenden Jahren anstehenden Kreisreform. Der Landkreis Vulkaneifel wäre in seiner Gestaltungskompetenz derart stark eingeschränkt, dass wir nur noch mit einer Insolvenzmasse an Kommunen in Reformverhandlungen eintreten würden.

Was Sie sicher nicht wollen. Aber was tun Sie dagegen?
Thiel: Der Kreistag und der Landrat werden einer Fusion Prüm-Obere Kyll nicht zustimmen. Wir sehen einige verfassungsrechtliche Bedenken, die gegen einen solch einmaligen Zusammenschluss sprechen.

Also Sie sehen noch nicht, dass der Bürgermeister der VG Prüm ab 2017 an den Besprechungen der Bürgermeister der Verbandsgemeinden im Kreis Vulkaneifel teilnimmt?
Thiel: Wenn es das nur wäre. Es würde eine unübersehbare Zahl von konfliktträchtigen Gemengelagen auf uns zukommen, Kompetenzgerangel und strittige Diskussionen, die für den Kreis definitiv nachteilig wären. Ich habe da allergrößte Bedenken, verfassungsrechtliche, aber auch rein praktische.

Die VG Obere Kyll will mit einer Fusion auch ihren Schuldenberg so weit wie möglich loswerden. Sehen Sie das als Hauptmotivation?
Thiel: Eindeutig ja. Der Entschuldungswunsch der VG prägt das ganze Geschehen. Man glaubt, das Angebot der VG Prüm ebne den Weg, dass das Defizit der Oberen Kyll in einem überschaubaren Zeitraum abgebaut werden könnte. Diese Einschätzung teilt die Kreisverwaltung nicht. Gemeinsam mit dem Eifelkreis Bitburg-Prüm wurde das gegengerechnet, mit dem Ergebnis, dass das Einsparvolumen unter dem Strich nicht so ambitioniert ist wie von den Befürwortern des Zusammenschlusses prognostiziert.

Wird das Land sich noch einmal in die Diskussion einschalten?
Thiel: Davon gehe ich nicht aus. Leider, aus meiner Sicht. Das Land erwartet, dass wir uns nun vor Ort abschließend noch mal mit allen Fusionsoptionen beschäftigen. Für Ende des Jahres erwarte ich aus Mainz zumindest einen Gesetzentwurf für eine Neuordnung der Verbandsgemeinde-Ebene im Kreis. stsExtra

Heinz-Peter Thiel ist am 21. Dezember 1962 in Prüm geboren, aufgewachsen ist er in Willwerath bei Prüm. Der 51-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder (Tochter und Sohn) und wohnt seit 1990 in Mürlenbach. Er wurde am 3. Dezember 2012 als parteiloser Kandidat zum Nachfolger von Heinz Onnertz (parteilos), zum Landrat des Vulkaneifelkreises gewählt. Zuvor war Thiel (seit 2003) Leiter der Polizeiinspektion in Daun. sts

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