Wut, die unter der Decke gehalten wird

ESCH. Die viereinhalb Jahre Haft, zu denen der 62-jährige Pferdezüchter aus Esch wegen schweren sexuellen Missbrauchs von mehreren Mädchen bestraft wurde (der TV berichtete mehrmals), ist den meisten Escher Bürgern zu wenig. Auch ein halbes Jahr nach Bekanntwerden der Vorfälle will keiner im Dorf darauf angesprochen werden. Das Thema sollte und soll noch immer tabu bleiben.

"Ich hab noch keine Reaktionen auf die Verurteilung im Dorf gehört", erklärt Ortsbürgermeister Edi Schell. "Nur viereinhalb Jahre ist zu wenig. Vor allem, wenn man das ins Verhältnis zum Zeitraum der Taten sieht. Der hat sich ja seit 1998 an den Mädchen vergangen", schimpft ein Einheimischer. Allerdings nur auf direkte Anfrage."Im Dorf wird das Thema totgeschwiegen, es ist einfach ein Tabuthema", erklärt eine junge Mutter. Sie meint zum Strafmaß: "Das ist mir viel zu harmlos ausgegangen. So einer gehört für immer weg.""Sind Kinderseelen so wenig wert?"

Susanne Mies, vierfache Mutter, stimmt ihr zu: "Täter, die finanzielle Dinge wie Betrug oder Diebstahl begehen, werden zu einer gleich hohen Strafe verurteilt. Dabei sollten Kinderseelen doch mehr wert sein."Eine andere Bürgerin fragt: "Und was ist mit der Lebensgefährtin? Die muss doch was davon gemerkt haben." Die mehrfache Mutter gerät während des Gesprächs in Rage: "Nur bei dem Gedanken, was der getan hat, stellen sich mir die Nackenhaare."Ein älterer Mann aus dem Eifeldorf, selbst mehrfacher Vater und Opa, vertritt eine andere Auffassung. Er sagt: "Der Mann hat nicht alleine Schuld. Die Mädchen haben ja mitgemacht und es geduldet."Das sehen die Juristen und Sachverständigen sowie die meisten Bürger, mit denen der TV gesprochen hat, allerdings deutlich anders. Danach verstricken die Täter die Opfer geschickt in ihre ausgeklügelte Strategie, so dass die Kinder sich selbst nicht mehr daraus befreien können.Laut Urteil nutzte der Verurteilte das Vertrauen der elf missbrauchten Mädchen im Alter zwischen elf und 13 Jahren aus. Unter Androhung von "Ärger" habe er die Mädchen zu Stillschweigen verpflichtet. Das ist nach Auskunft von Experten das häufigste aller angewandten Tätermuster bei sexuellem Missbrauch an Kindern.Einige Eltern der betroffenen Mädchen waren bei der Gerichtsverhandlung am Wochenanfang im Sitzungssaal des Trierer Landgerichts. Die Eltern sahen den Täter erstmals nach einem halben Jahr wieder. Ursprünglich waren zwei Verhandlungstage angesetzt, aber weil der Rentner gestand, wurde schon am ersten Tag das Urteil gefällt. Phasenweise wurde die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen, so auch beim Verlesen des psychologischen Gutachtens.Horst Roos, Leitender Oberstaatsanwalt, erklärte später: "Paragraf 21 des Strafgesetzbuches, also verminderte Zurechnungsfähigkeit, musste beim Strafmaß berücksichtigt werden."Einer Mutter fällt es auch Tage später noch schwer, über ihre Gefühle im Gerichtssaal zu reden. Wut? Rache? "Ach, lassen Sie mal", wünscht sie sich und seufzt. Ihren Töchtern wollten die Eltern auf keinen Fall eine Aussage vor Gericht zumuten. "Das wäre total schlimm gewesen", meint die Mutter. Die Eltern ließen sich als Nebenkläger von einer Kölner Anwältin vertreten.Geständnis und Schutz der Opfer berücksichtigt

Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft forderten sie fünf Jahre und drei Monate Haft. Oberstaatsanwalt Horst Roos erläutert das mögliche Strafmaß: "Juristisch gesehen kommt es auf die Intensität des sexuellen Missbrauchs an, und die war, vor allem bei den schweren Fällen, auf der unteren Stufe anzusiedeln. Hätte Geschlechtsverkehr stattgefunden, wäre die Haftstrafe sicherlich im zweistelligen Bereich ausgefallen." Die drei Faktoren Geständnis, verminderte Zurechnungsfähigkeit und Opferschutz (Nichtaussage der Mädchen vor Gericht) sind nach Angaben des Oberstaatsanwalts bei der Findung des Strafmaßes berücksichtigt worden.Die Ehefrau des Verurteilten lebt nach wie vor in Esch. Ans Telefon geht sie nicht. Nachbarn berichten, dass sie wegziehen möchte.

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