Autos werden wieder rollen

Die Tage, in denen Autos tagsüber im zentralen Teil der Hauptstraße in Gerolstein tabu waren, scheinen endgültig gezählt: Nach der anderthalbjährigen Öffnung auf Probe wird der Stadtrat heute voraussichtlich die generelle Öffnung beschließen und die Fußgängerzone in Gerolstein in einen verkehrsberuhigten Bereich umwandeln.

Gerolstein. Der Stadtrat Gerolstein will heute im öffentlichen Teil seiner Sitzung (18 Uhr/Rathaus) endgültig darüber entscheiden, in welchem Umfang künftig wieder Autos durch die Fußgängerzone fahren dürfen und an welche Bestimmungen sich die Verkehrsteilnehmer zu halten haben. Denn dass das Ende der Fußgängerzone besiegelt zu sein scheint, ist weitgehend unumstritten. Nicht zuletzt das mehrfache Drängen der Geschäftsleute in diesem Teil der Hauptstraße hat dazu geführt, dass sich auch bei den politisch Verantwortlichen die Stimmung hin zu einer endgültigen Öffnung des Areals für den Verkehr gewandelt hat.

Mehrheit im Gewerbeverein für die Öffnung

So hat sich bei zwei Befragungen in diesem und im vergangenen Jahr die Mehrheit der Mitglieder des Gewerbevereins Gerolstein für eine Öffnung der Fußgängerzone ausgesprochen.

Mike Pizzulli, stellvertretender Vorsitzender des Gewerbevereins, sagte: "Die Öffnung auf Probe während der vergangenen anderthalb Jahre hat bereits offensichtliche Erfolge mit sich gebracht: Es ist - vor allem nachmittags - wieder mehr Leben in der Stadt, etliche Geschäfte verzeichnen deutlich mehr Umsatz, es gab Neuansiedlungen, Erweiterungen und Verschönerungen. Kurzum: Die Öffnung ist die einzige Chance, wir sind auf einem guten Weg."

Auf die zwischenzeitlich laut gewordene Kritik, dass die Verkehrsregelung geändert werde, ohne vorher ein Nutzungskonzept für die Anlieger, Geschäftsleute und Gastronomen zu beschließen, meinte Pizzulli: "Für uns ist voranging, dass die Fußgängerzone erst einmal offen ist und bleibt." Die Frage, wer, wie, unter welchen Umständen etwas nutzen dürfe, solle aber ebenfalls rasch geregelt werden. Denn das zeitweise herrschende Parkchaos dürfe kein Dauerzustand bleiben. "Es wäre unser Wunsch, in diese Diskussionen frühzeitig eingebunden zu werden", sagte Pizzulli und fügte hinzu: "Bislang gab es kein Signal von der Stadt, diese Fragen zu erörtern." Pizzulli ist aber zuversichtlich, dass diese Fragen mit den notwendigen baulichen Veränderungen in der Fußgängerzone beantwortet werden.

Die künftige Verkehrsregelung in der Fußgängerzone sollte bereits in der Stadtratssitzung vor der Sommerpause beschlossen werden. Auf Antrag der Wählergemeinschaft Möller wurde der Beschluss aber einstimmig vertagt, weil nichts übers Knie gebrochen und die Bürger und Anlieger in die Entscheidung miteinbezogen werden sollten. Letzteres sei aber "noch immer nicht geschehen", kritisierte Hans-Joachim Stief (WG Möller).

Wählergruppe Möller will Halbjahres-Regelung

Stadtbürgermeister Karl-Heinz Schwartz: "Ich bin eindeutig für einen "verkehrsberuhigten Bereich", weil nur so eine laut Straßenverkehrsordnung rechtlich einwandfreie und kontrollierbare Regelung für Fußgänger und Fahrzeugführer erreicht wird. Denn dabei sind alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt. Im Übrigen erinnere ich daran, dass sich der Gewerbeverein in der jüngsten Vergangenheit mehrmals für die Öffnung eines Teils der Hauptstraße ausgesprochen hat, um dadurch mehr Kaufkraft in die Innenstadt zu bekommen. Das sollte berücksichtigt werden."

Herbert Lames, SPD-Fraktionssprecher im Stadtrat: "Die SPD-Fraktion plädiert mehrheitlich, wenn auch nicht geschlossen, für die Rückkehr zur temporären Fußgängerzone, die von 6 bis 12 Uhr befahren werden darf und außerhalb dieses Zeitraums mit Pollern gesichert ist. Unsere Gründe: Wir haben festgestellt, dass sich nur wenige Verkehrsteilnehmer an die Beschilderung und die maximal erlaubten sieben Stundenkilometer halten. Dies stellt eine Gefahr für Fußgänger und spielende Kinder dar. Zudem kann ich mir vorstellen, dass es keinen Spaß macht, draußen zu essen und von Abgasen eingenebelt zu werden. Zur Parkplatzsituation: Zwar reichen die Plätze in der Fußgängerzone bei weitem nicht aus, dennoch sind wir gegen eine deutliche Aufstockung. Denn erstens gibt es direkt unterhalb der Fußgängerzone genügend Plätze und Aufzüge. Zweitens werden die Schaufenster durch parkende Fahrzeuge verdeckt."

Hans-Joachim Stief (Wählergruppe Möller): "Wir sind für ein Splitten: im Winterhalbjahr (1. Oktober bis zum 31. März) "verkehrsberuhigte Zone", sodass Autos rein dürfen, im Sommerhalbjahr (1. April bis 30. September) Fußgängerzone. Autos müssen draußen bleiben. Um das durchsetzen zu können, ist der bereits vom Stadtrat beschlossene, aber von der Verwaltung noch nicht realisierte Einbau von Pollern unverzichtbare Bedingung. Mehrfach haben wir bei Verwaltung und Stadtspitze angemahnt, dass im Vorfeld einer Entscheidung allen Beteiligten klar sein muss, wie die Straßenführung, die Parkplätze, die Ausstellungsflächen und die Außenrestauration von der Stadt geplant sind. Schließlich ist sie im Besitz von mehr als 95 Prozent der dortigen Verkehrsflächen. Dazu hätte es eine Bürger- und Anliegerversammlung geben sowie eine Nutzungssatzung beschlossen werden müssen. Nichts von dem ist bislang geschehen. (Die anderen Fraktionen haben nicht auf die TV-Anfrage geantwortet.) (mh)

Meinung

Von Mario Hübner

Boom oder Babylon?

Es gibt kein Zurück mehr: Nach der vor gut anderthalb Jahren beschlossenen Öffnung der Fußgängerzone war bereits abzusehen, dass die als Probezeit deklarierte Entscheidung eine für die Zukunft sein wird. Zu laut wurden die Stimmen der Befürworter, zu deutlich das Sterben der Flaniermeile. Da spielte es auch keine Rolle, dass etliche Probleme des Niedergangs nichts mit fehlendem Autoverkehr vor der Tür zu tun hatten.

Aber das ist Vergangenheit. Wenn die Gewerbetreibenden als eine der wichtigsten Gruppe der Betroffenen die Öffnung so vehement fordern, kann das nicht dauerhaft ignoriert werden. Doch mit ihrem Slogan "Hauptsache Öffnung" ist es nicht getan. Im Gegenteil: Es ist zu befürchten, dass die großen Auseinandersetzungen jetzt erst anstehen: um Parkplätze, das Recht, Tische und Stühle vor dem eigenen Lokal aufzustellen, um die Kostenbeteiligung für den notwendigen Straßenausbau und die Verschönerungen. Das alles hätte die Stadt im Vorfeld eines Beschlusses über die Verkehrsregelung klären müssen. Im gemeinsamen Gespräch mit den Anliegern und sämtlichen Betroffenen. Aus dem erhofften Boom kann leicht ein Babylon werden.

m.huebner@volksfreund.de

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