Die Rechnung kommt nach 26 Jahren

Vorweihnachtliche Überraschung: Vor mehr als einem Vierteljahrhundert begann die Stadtsanierung in Gerolstein. Jetzt werden die Anlieger der Oberen und Unteren Marktstraße für die Wertsteigerung ihrer Grundstücke zur Kasse gebeten. Und kaum einer ahnt etwas davon.

 Wer in der Oberen (links) und Unteren Marktstraße wohnt, erhält dieser Tage Post von der Verwaltung: Es sind die Kostenbescheide für die Stadtsanierung. TV-Foto: Gabi Vogelsberg

Wer in der Oberen (links) und Unteren Marktstraße wohnt, erhält dieser Tage Post von der Verwaltung: Es sind die Kostenbescheide für die Stadtsanierung. TV-Foto: Gabi Vogelsberg

Gerolstein. "Das ist eine ganz spezielle Sache und hoch kompliziert", meint Klaus Jansen, Leiter der Bauabteilung im Gerolsteiner Rathaus. Laut Baugesetzbuch muss die Stadt Gerolstein nach Abschluss der Stadtsanierung die dadurch entstandenen Wertsteigerungen der Anwesen von den Eigentümern abkassieren. Sein Stellvertreter Harald Brück ermittelt momentan die einzelnen Beteiligten jeder Eigentümergemeinschaft der Anlieger aus der Oberen und Unteren Marktstraße. Betroffen sind 45 Eigentümer beziehungsweise Eigentümergemeinschaften, auf sie entfallen 72 Grundstücke. Die durchschnittliche Grundstücksgröße beträgt 140 Quadratmeter.

In etwa zwei Wochen sollen die sogenannten Anhörungsbögen per Post zugestellt werden. Vier Seiten proppevoll mit Erklärungen. Brück sagt: "Jeder Eigentümer hat die Möglichkeit, sich bis Ende November zu melden und persönlich bei uns die Gutachten einzusehen."

Eine Anliegerversammlung im Vorfeld lehnt die Verwaltung mit Verweis auf den Datenschutz ab. So sagte Bauamtsleiter Jansen: "In dieser Sache geht es um persönliche Daten, und die können nicht in einer öffentlichen Versammlung vor den Nachbarn erörtert werden. Jeder bekommt aber auf Wunsch die Möglichkeit zu einem persönlichen Gespräch im Rathaus." Die Wertsteigerungen hat der Gutachterausschuss des Landkreises Vulkaneifel im Juli 2009 festgelegt. Zwei Experten des Dauner Katasteramtes erklärten in der jüngsten Sitzung des Bauausschusses (BA) der Stadt Gerolstein das Prozedere.

Danach wurde das Sanierungsgebiet in vier Zonen eingeteilt. Je nach Areal liegt die Wertsteigerung demnach zwischen 2,50 Euro und acht Euro je Quadratmeter. Die Stadtsanierung begann 1983 und wurde im Sommer 2007 in diesem Areal abgeschlossen. 700 000 Euro habe der "luxuriöse Ausbau" (O-Ton Experte Katasteramt) der Oberen- und Unteren Marktstraße mit farbigem Pflaster und Rinnen gekostet. Die Anlieger sind noch nicht umfassend informiert. Nur die wenigsten werden sich an die Bemerkungen aus den Anfängen der Sanierung vor 26 Jahren erinnern, als über eine Kostenbeteiligung gesprochen wurde. Auch die BA-Mitglieder waren sprachlos: Niemand stellte Fragen nach dem Informationsstand der Bürger, der Anzahl der betroffenen Anlieger oder nach der Höhe der zu erwartenden Ausgleichzahlungen. In Hillesheim wurde 2001 ein solches Beitragsverfahren für die Altstadtsanierung umgesetzt. Von den 125 Anliegern des Stadtkerns legte ein gutes Dutzend Widersprüche ein. Sechs Verfahren landeten vor Gericht. Büroleiter Bernd Kloep: "Erst 2006 wurde alles abgeschlossen. Allerdings hat die Stadt nicht einen Rechtsstreit verloren."

Meinung

Unangenehme Überraschung

Als Bumerang könnte sich erweisen, dass die Gerolsteiner Verwaltung darauf verzichtet hat, regelmäßig mit Schreiben oder Informationsabenden über die Stadtsanierung zu informieren. Vor allem jetzt, wo die Schlussabrechnung ansteht. Denn wohl kaum einer der Anlieger wird sich noch daran erinnern, dass zu Beginn der Ausbauarbeiten davon die Rede war, dass auch die Anlieger dafür zur Kasse gebeten werden, dass ihre Grundstücke durch den Ausbau im Wert gesteigert werden. Die Anlieger hätten sich langfristig auf die Sonderzahlung einstellen und regelmäßig Geld zurücklegen können. So aber werden die Anhörungsbescheide, die dieser Tage in die Häuser flattern werden, nur Folgendes bewirken: den Betroffenen die anstehende Vorweihnachtszeit vermiesen, ihren Frust auf die Verwaltung anheizen, ihre Klagebereitschaft gegen die Bescheide erhöhen und somit der Verwaltung mehr Arbeit bereiten, als viele Vorabinformationen oder Versammlungen es hätten machen können. m.huebner@volksfreund.de

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