Für Bürgerbeteiligung, gegen Idiotenrennen

Vom Branchenverzeichnis über den Gesundheitsführer bis hin zur Kulturdatenbank, von der Ausweisung von Wanderparkplätzen bis hin zur Errichtung eines Waldkindergartens: Zwar noch nichts Handfestes, aber bereits viele interessante Ideen haben die Arbeitskreise im Rahmen des Standortmarketingprozesses fürs Hillesheimer Land erarbeitet.

Oberbettingen. Rund 40 interessierte Bürger und Interessenvertreter sind zur zweiten Plenarsitzung im Rahmen des Standortmaketingprozesses fürs Hillesheimer Land ins Gasthaus Feltges nach Oberbettingen gekommen. "Seien Sie froh, dass bei Ihnen noch ein Gasthaus geöffnet hat", sagte Gastredner Christian Muschwitz, Planer und Raumentwickler an der Uni Trier. Damit lenkte er das Interesse direkt auf die Hauptaussagen seines Vortrags zum Thema "Altersstrukturwandel im ländlichen Raum - Wir sind mittendrin". Denn die von ihm vorgetragenen Zukunftsperspektiven sehen alles andere als rosig aus. "Der demographische Wandel wird die mit Abstand größte Herausforderung für Deutschland seit 1945." Regionen werden um junge Arbeitskräfte kämpfen

So wird die Bevölkerung in Rheinland-Pfalz bis 2050 um eine Million auf dann nur noch drei Millionen Menschen abnehmen. Das laut Muschwitz Fatale daran aber ist, dass die Gesellschaft zudem immer älter und die Alten im Durchschnitt ärmer werden: "2050 kommen auf 100 Arbeitnehmer 70 Rentner. Da wird der Kampf der Regionen um junge Arbeitskräfte toben." Im Land, im Bund, in ganz Europa. Seine weitere Prognose: "Es wird sich herumsprechen, dass das Leben auf dem Land schwieriger wird." Weil Schulen, Kindergärten, Schwimmbäder, Geschäfte und auch Kirchen mangels (Bevölkerungs)-Masse und dem durchweg sinkenden Rentenniveau ("Das wird 2030 bei noch 40 Prozent liegen") schließen werden. Und auch wegen der Mobilitätsprobleme, da der Öffentliche Personennahverkehr nicht mehr finanzierbar sein wird. Seine Schlussfolgerung: Es werde nicht nur die "begehrten" Jungen, sondern auch viele Ältere dorthin ziehen, wo sie sich gut versorgt wissen: in die Oberzentren und Ballungsräume. Das Positive an der Entwicklung, "die wir selbst bei größten Anstrengungen nur marginal werden beeinflussen können", jedoch sei, dass man sich darauf einstellen könne. Eine der möglichen und für ihn zwingend erforderlichen Maßnahmen sei die Bündelung von Aufgaben, denn ein eigenes Bau- oder Gewerbegebiet könne und dürfe sich nicht mehr jedes Dorf leisten. Muschwitz sagte: "Der interkommunale Wettbewerb muss rasch gestoppt werden, denn bei diesem Idiotenrennen verlieren alle. Es gilt, als Region gemeinsam aufzutreten und sich gegen die Ballungszentren zur Wehr zu setzen." Zudem ist er der Überzeugung, dass die Politik die Probleme nicht wird alleine lösen können. Vielmehr sei jeder Einzelne gefragt, sagte Muschwitz und brachte die Idee eines "Pflichtehrenamts" ins Gespräch und den Ausbau der Nachbarschaftshilfe sowie die Wiederbelebung von multifunktionalen Dorfläden, die Geschäfte, Post, Bank, Café und Kneipe zusammen seien.Und gerade um dieses bürgerschaftliche Engagement geht es unter anderem beim Standortmarketingprozess, bei dem bereits Fortschritte zu verzeichnen sind. So haben die vier Arbeitskreise, in denen rund 60 Bürger und Interessenvertreter mitwirken, erste Vorschläge unterbreitet. Stefanie Dunkel vom Arbeitskreis Einzelhandel, Handwerk, Industrie berichtete von drei Projektideen: "Wir wollen ein Branchenverzeichnis des Hillesheimer Landes, einen Jahresaktionsplan der Unternehmer sowie - um für das Thema Klimaschutz zu sensibilisieren - ein Solarkataster erstellen." Noch nicht auf konkrete Projekte fixiert hat sich der Arbeitskreis Gastronomie, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten, wohl aber eine Reihe von Ideen. Touristiker Manfred Schmitz berichtete: "Ein großes Thema wird für uns der Eifelsteig sein, und wir überlegen derzeit, welche Angebote wird entlang des Wegs in den Dörfern bereitstellen können." Eine Idee: Gastronomie auf "Rädern". Weiterhin seien die Errichtung von Themenwanderwegen sowie einer Waldschule und eines Waldkindergartens in der Diskussion. Letzteren möchte auch der Arbeitskreis Bildung und Kultur realisieren, wie Sprecherin Andrea Revers mitteilte. Die beiden anderen Projekte, eine Kunst- und Kulturdatenbank für die Region sowie die Schaffung eines "Lokalen Bündnisses für Familien", habe sich als "aufwändiger als erwartet" erwiesen. Der Arbeitskreis Gesundheit, Sport, Freizeit will laut Sprecher Gerd Blum einen Gesundheitsführer erstellen, die Sport- und Freizeitangebote in der VG erfassen und sich für die Ausweisung von Wanderparkplätzen in allen Dörfern stark machen.Weitere Infos zur Lokalen Agenda und dem Standortmarketing -Prozess unter www.hillesheim.de.Meinung Jeder Einzelne ist gefragt Es dürfte angesichts der fast täglichen Meldungen in den Medien kein Geheimnis mehr sein, dass die Gesellschaft in den nächsten Jahren deutlich älter wird und die meisten zudem ärmer werden. Doch von den Auswirkungen hier im ländlichen Raum machen sich die wenigsten bislang ein konkretes Bild. Vor allem ist sich kaum einer bewusst, wie sich dadurch das eigene Leben verändern wird. Schulen, Kindergärten und allerlei Freizeiteinrichtungen werden aus Kostengründen schließen, Busse nicht mehr fahren, ganze Dorfkerne leer stehen und verrotten. Und 80-Jährige sind eben meistens nicht mehr so rüstig, um sich alleine oder gegenseitig helfen zu können. Kurzum: Das Leben wird ungemütlicher. Dennoch: Werden bereits jetzt die ersten Gegenmaßnahmen ergriffen, und erklärt sich jeder Einzelne bereit mitzuhelfen, um die eigene Heimat nach Kräften mit- und umzugestalten, dann ist vieles möglich. Da ist der Ansatz des Standortmarketing-Prozesses viel versprechend: zum einen wegen der Bürgerbeteiligung, zum anderen, um die eigene Region als Wohn-, Arbeits- und Lebensort zu attraktivieren. Es ist aber noch viel (Überzeugungs-)Arbeit nötig. m.huebner@volksfreund.de

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