Wo jeder seine Aufgabe hat

Erfinden ist hier Alltag: Um behinderten Menschen die Arbeit zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen, werden in den Westeifelwerken fast täglich ungewöhnliche Maschinen konstruiert. Unsere Reporterin hat sich das angesehen - und nebenbei Einblick in eine Welt erhalten, die für Behinderte weit mehr ist als nur ein Arbeitsplatz.

Gerolstein. Über allem liegt das leise pneumatische Pfeifen der Maschinen, die die Werkstücke kontrollieren. Ganz langsam nimmt einer der geistig Behinderten, die hier arbeiten, eine kleine Metallspirale, hält sie eine Weile in seiner Hand und steckt sie dann in das Kunststoffteil, das sein Nachbar bereits dafür vorbereitet hat. Neben ihm wirkt er winzig, sein Gesicht scheint immer zu lächeln. Dieser Mann ist der "Schwächste" in der Gruppe. Auch er soll mitarbeiten können. Genau wie die anderen. Und ob das nun schnell oder langsam geht, ist in den Behindertenwerkstätten der Westeifelwerke ganz egal. Rund 550 Menschen gehen in den verschiedenen Werken ihrer Arbeit nach, bezahlt und natürlich freiwillig. In Gerolstein montieren sie Teile für die Autoindustrie, bauen Receiver zusammen oder versehen Schrauben mit Dichtungsringen. Und zwischendurch ein Bällchen-Bad

"Unsere Aufgabe ist es, den Menschen eine sinnvolle Arbeit zu geben und sie persönlich zu fördern", sagt Franz-Josef Basner vom begleitenden Dienst. Arbeit und Freizeit werde von den Behinderten als Einheit erlebt. Kein Wunder - bieten die Werke doch weit mehr als einen Arbeitsplatz: Zwischendurch trainieren die Behinderten an der Kletterwand, gehen zur Physiotherapie, malen oder machen Entspannungstraining. Alles in der Arbeitszeit. Doch das ist nicht das einzige, was diese Welt von der draußen unterscheidet. Während andernorts Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, ist es hier erklärtes Ziel, eine Aufgabe auf möglichst viele Hände zu verteilen. Und: "Auch der Schwächste soll mitarbeiten können", sagt Hermann Heinz, Leiter des Maschinen- und Vorrichtungsbaus. Es ist die Aufgabe seiner Abteilung, dafür zu sorgen, dass dies möglich ist. Manchmal geht das schon mit sehr leichten Mitteln, wie im Fall der Metallspiralen. Sie aus einer Kiste zu fischen, in der sie ineinander verhakt alle auf einem Haufen liegen, würde den kleinen Mann mit dem lächelnden Gesicht überfordern. Deshalb sortiert eine Kollegin sie vor und steckt jede einzeln auf ein Brett, das extra für diesen Zweck entworfen wurde. Sie von dort zu nehmen, ist dann ganz leicht.Aber auch komplexe Maschinen konstruieren die Maschinenbauer so, dass sie zu den Menschen passen. Gerade testet ein Mann den Prototyp eines Geräts, das den Behinderten mit Hilfe eines Sensors das Zählen abnehmen soll. Eine Aufgabe, die vielen sehr schwer fällt. Statt mühsam vier Teile in Tütchen zu verpacken, müssten sie so nur noch die Maschine bestücken. Das können selbst die "Schwächsten" bewältigen. Die Allerschwächsten sind in Fördergruppen untergebracht. Mittagszeit, ihr Raum ist leer: Von der Kantine dringt Tellergeklapper, Lachen und der Geruch von Spaghetti Bolognese herüber. Auf dem Tisch liegt ein angefangenes Puzzle, in den Regalen steht buntes Kinderspielzeug und an den Schränken kleben Fotos derjenigen, die gerade nicht da sind. Selbst sie können mitarbeiten, und es ist fast wie eines der Kinderspiele im Schrank: Sie sortieren Teile, indem sie Ringe auf einen Stab stecken. Auch dies ist eine Idee von Heinz' Abteilung. Wer sich zwischendurch ausruhen will, kann dies entweder im "eigenen" Bett oder einem großen Entspannungsraum tun: Bei gedämpftem Licht und leiser Musik ein "Bad" in bunten Plastikbällchen zu nehmen, verspricht auch Rollstuhlfahrern Entspannung. Obwohl es eines der Ziele ist - in die freie Wirtschaft schaffen es nur wenige. Selbst für die Stärksten ist es "draußen" schwer - denn schließlich hatten sie vorher viel mehr als nur einen Arbeitsplatz.

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